Ute Riese: Thomas Rentmeister
Katalogtext zur Ausstellung „Skulptur 2000“, Kunsthalle Wilhelmshaven, 01.10 – 12.11.2000; in: Skulptur 2000, (Kat.) Kunsthalle Wilhelmshaven, Wilhelmshaven 2000, S. 40–45, engl. S. 46–51.
Thomas Rentmeisters Arbeit ist seit Beginn der 90er Jahre vor allem durch seine organisch geformten Polyesterskulpturen mit ihren hoch sensiblen, spiegelnden Oberflächen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Charakteristisch für diese Skulpturen sind die Perfektion ihrer äußeren Erscheinung und ihre teilweise figürlich-comicartigen, teilweise abstrakt-minimalistischen Formen.
„Das Wesentliche an meinen hochglanzpolierten Skulpturen aus Polyester ist in der Tat ihre Oberfläche. Mir wäre am liebsten, wenn ich alles darunter liegende weglassen könnte und die Skulpturen wie virtuelle Hüllen oder unendlich dünnwandige Seifenblasen im wirklichen Raum herumliegen würden. Da das natürlich nicht möglich ist, versuche ich ihnen durch intensive handwerkliche Bearbeitung ein hyperkünstliches, in der Realität fremd wirkendes Erscheinungsbild zu geben, so dass zumindest die Imagination eines virtuellen Körpers nicht fern liegt. Die Objekte werden von mir – salopp gesagt – in Richtung Virtualität getrimmt, soweit es die Realität zulässt.“ [*1) Thomas Rentmeister in einem Gespräch für den Katalog zu „Reality Bytes“, Kunsthalle Nürnberg 1999.]
Schon auf der Art Cologne 1999 war eine Arbeit zu sehen, bei der Thomas Rentmeister mit einem in seinem Werkzusammenhang neuen Material arbeitete: an der Wand hing eine kleine plastische Arbeit, ein Board mit zwei Fächern, das der Künstler ganzflächig in pastosem Auftrag mit Nutella-Nussnougatcreme überzogen hatte. Die Oberfläche zeigte gegenüber den in einem langen und aufwendigen Arbeitsprozess hergestellten Polyester-Arbeiten ein ganz gegensätzliches Erscheinungsbild: das Nutella härtet auch bei längerer Zeit an der Luft nicht aus, sondern behält seine pastose, cremige Beschaffenheit, die durch Temperatur und Berührung veränderbar bleibt, was sich bei der Betrachtung des kleinen Wandobjektes auch vermittelte. Näherte man sich ihm, nahm man auch nahm man auch eine andere sehr charakteristische Eigenschaft wahr: es ging von ihm ein intensiver Schokoladengeruch aus, der auch nach wochenlangem Bestand der Arbeit nicht verflog.
In der Ausstellung in der Kunsthalle Wilhelmshaven ergab sich für den Künstler zum ersten Mal die Möglichkeit, mit diesem für seine Werkentwicklung neuen Material in größeren Dimensionen zu arbeiten.
Die erste Version, die in Wilhelmshaven im Vorfeld der Ausstellung entstand war „ohne Titel, 2000“ (Kunsthalle Wilhelmshaven, 11.09.2000), und bestand aus massivem Nutella – in der handelsüblichen Konsistenz –, das sich in flächiger Ausdehnung lavaartig am Boden ausbreitete. Der Künstler steuerte die Gesamtform, indem er mit der Hand und einem Schöpflöffel in jeweils fassbaren Mengen die Masse auf dem Boden anhäufte. Grenzen in der Höhe ergaben sich durch die Viskosität und die Schwere des Materials, das nahelegt, eher in die Fläche zu arbeiten. Die Oberfläche behielt den Charakter einer amorphen, trägen und cremigen Masse, die – gewissermaßen im „dripping-Verfahren“ – gewonnen und nach der Setzung nicht weiter verändert wurde.
Die zweite Version, die über einem Kern gehärteter Schokolade aufgebaut wurde und in der Ausstellung zu sehen ist, ist an mehreren Stellen bergartig in die Höhe modelliert. Der darunterliegende vom Künstler geformte Schokoladenkern erweist sich als adäquater Unterbau, bezüglich seiner Materialität, und da er durch seine Massivität und Schwere gleichzeitig eine gute Bodenhaftung herstellt.
Ein Ausgangspunkt für die Arbeit mit diesem neuen Werkstoff ist die Erfahrung, die der Künstler mit den Reaktionen der Betrachter auf seine Polyesterarbeiten machte. Deren glatt-glänzende Oberflächen mit ihre weich geschwungenen Formen lösten bei vielen Betrachtern den Wunsch aus, diese zu berühren. Häufig wurde dem – meist unbeobachtet – nachgegangen und die Spuren waren dann auf der Oberfläche der Skulptur sichtbar. Ohne dies zu kritisieren, kehrt der Künstler dennoch, nicht ohne Humor, die Situation ins Gegenteil: Die Nutella-Arbeiten dürfen berührt werden. Die dezente „Museums-Berührung“ verändert zwar geringfügig die pastose Oberfläche, deren Gesamtcharakter bleibt jedoch erhalten. Deutlich sichtbar wird die Berührung für den Ausführenden selbst, der die Materialspuren an seinen Fingern hat und durchaus ambivalent erleben kann.
Mit dem neuen Material zielt Rentmeister auf ein Faktum, das die Kunstform der Skulptur besonders betrifft: die Wahrnehmung des Werkes beinhaltet gerade bei körperhaft geschwungenen Formen und „sinnlichen“ Oberflächen (Kunststoffen, Hölzern, Gipsen oder auch samtig wirkende Pigmentschichten) den starken Wunsch diese zu berühren. Dem steht jedoch eine besondere Aura des Kunstwerkes entgegen, die Walter Benjamin treffend als eine „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag“ beschreibt. [*2) Walter Benjamin in: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 3. Fassung, 1936–39, in: Gesammelte Schriften, Band 1.2, S. 471–508, S. 477.]
Das Kunstwerk umgibt sich mit einer Art unsichtbarer „Schutzhülle“ umgibt, und lässt die Berührung zumindest dem sensibilisierten Kunstbetrachter in gewisser Weise als indiskret erscheinen. Diese Ambivalenz von „Einladung und Verbot“ ist in den kultisch gebundenen Anfängen figurativer Skulptur ebenso präsent wie z.B. in den mittlerweile zu den Klassikern der Moderne gehörenden Arbeiten von Constantin Brancusi, Hans Arp oder auch Yves Klein. Mit eher lapidarer Komik nimmt Rentmeister auf dieses Grundproblem des skulpturalen Diskurses Bezug und rückt die Aura, die insbesondere im musealen Ausstellungsraum offenbar unabhängig von Wert des Materials herstellbar ist (Duchamp), mit seinen Nutella-Arbeiten ins Blickfeld. Der Aspekt der Berührbarkeit intendiert damit nicht eine Beteiligung des Betrachters am Herstellungsprozess und steht nicht im Zentrum der Konzeption. Die Nutella-Arbeiten animieren den Ausstellungsbesucher nicht direkt, sie umzuformen oder zu verbrauchen, (wie beispielsweise der Bonbonberg von Felix Gonzales-Torres), sondern bestärken vielmehr die Wahrnehmung eines vorhandenen, auratischen Charakters an Rentmeisters Skulpturen
Ein weiterer Aspekt der Wilhelmshavener Arbeit, ebenfalls ein Grundthema von Skulptur, klingt an in der Herausstellung der ursprünglichen plastischen Geste des Modellierens, auch sie mit einem Unterton von Ironie und Komik vorgetragen. Im Modellieren einer Form aus einer weichen Masse schwingt eine demiurgische Urvorstellung mit, ein Urakt von Kreativität, der umso deutlicher wird, als das gewählte Material nicht aushärtet, sondern elastisch formbar bleibt.
Die Nutella-Arbeiten sind pastos, massig am Boden haftend und mit archaischer Geste hergestellt, aber aus einem neuzeitlichen perfekt „designten“ Lebensmittel das bereits Kultstatus besitzt. Diesen bezieht Rentmeister bewusst mit ein und nutzt dessen Attraktivität. Bereits im Produktnamen schwingen viele Assoziationen mit, die Begriffe wie Kindheit, Trostpflaster, Glück und Sinnlichkeit einschließen, ebenso wie eine Form beiläufiger „Alltagskreativität“, die sich in der Art äußert, die Schokoladencreme modellierend aufs Brötchen zu streichen. In der Tradition der bereits zahlreichen Kunstwerke mit dem Material Schokolade, die das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat (z.B. Beuys, Dieter Roth), sind die Schokoladenskulpturen von Rentmeister in ihrer Verbindung von Archaischem und perfektem Lebensmitteldesign, in ihrer skulpturalen Form und ihrer Exzentrik zweifellos sehr komisch. Die autonome Skulptur erscheint hier in ihrem auratischen Charakter, in ihrer materialhaften Präsenz und ist doch in ihrem Verweisen auf skulpturale Diskurse sehr selbstironisch.
In Wilhelmshaven zeigt Thomas Rentmeister auch eine weitere Metallskulptur (ohne Titel, 1999). Neben der größeren Werkgruppe der Polyesterskulpturen ist dies die bisher einzige Arbeit aus diesem Material. Die auf dem Boden liegende Skulptur besteht aus einem kantigen, unregelmäßig geformten Körper, der an der einen Seite eine lang in den Raum ausragende Verlängerung hat. Die Gesamtform ist in ihren Ausmaßen so angelegt, dass der Betrachter auf sie herabschaut, bzw. angeregt wird, sich herunterzubeugen, um die verschiedenen Kanten und angeschrägten Flächen zu betrachten. In der Gesamtform erinnert die Arbeit an einen kubistisch anmutenden Instrumentenkoffer für ein Cello. Die Kanten und die dadurch entstehenden abgeschrägten Flächen zeigen keine Systematik oder Regelmäßigkeit: Es ist eine vom Künstler individuell komponierte Form, die auf keinen erkennbaren Funktionszusammenhang hindeutet. Obwohl die innen hohle Gesamtform im auffälligen Gegensatz zu den früheren Kunststoffarbeiten keinerlei Rundungen und Kurven aufweist, gibt es Ähnlichkeiten in der reduzierten, geschlossenen Form und der merkwürdig assoziativen Gesamterscheinung. Die Skulptur ist mit einer monochromen Lackierung aus dunkelbrauner Farbe eingefasst und weist eine andere Schwere und Massigkeit als die „unendlich dünnwandigen Seifenblasen“ auf. Assoziationen an Funktionales (Koffer) aber auch an Tierhaftes, durch den langen „Hals“, der sich in die Höhe reckt und sich von der am Boden liegenden massigen Form absetzt, werden hervorgerufen. Man könnte an eine Amphibie denken, die auf dem Boden liegt und den Betrachter anschaut. Die dunkelbraune Lackierung ist jedoch spröder und schwerfälliger, weniger dekorativ und „gefällig“ als die Farbigkeit der Polyesteroberflächen. In seiner Werkentwicklung stellt diese singuläre Metallskulptur für Thomas Rentmeister einen Weg aus der Gruppe der Polyesterskulpturen dar und einen wichtigen Schritt seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit den Traditionen der autonomen Einzelskulptur.
Bei dem Versuch, eine Struktur, Systematik oder Regelmäßigkeit zu entdecken, scheint ein Rekurs auf die minimalistische Kunst der 60/70er Jahre im Raum zu stehen, insbesondere deren Arbeit mit Elementarformen, werkimmanenter Struktur und Autonomie. Allerdings arbeitet die Metallskulptur wie alle Werke Rentmeisters jeder aufschlüsselbaren, minimalistischen Systematik, im Sinne von rationalisierbaren Maßen oder bestimmten Formen der Materialverwendung, entgegen. Dafür werden wieder bildhaftere, einem traditionelleren Skulpturverständnis entsprechende Ideen ins Spiel gebracht, die eher das „Wesenhafte“ der Form und die Assoziationen an Figürliches anklingen lassen. Beide Ebenen sind jedoch merkwürdig gebrochen und verschränken sich in einer eigenartigen Kombination, in der auch Komik und ironischer Umgang mit skulpturalen Diskursen mitschwingt. Allen Arbeiten ist dabei gemeinsam, dass sie jeden rhetorischen Charakter vermeiden. Auch darin zeigt sich eine Auseinandersetzung mit der Tradition der abstrakten autonomen Skulptur.
Dies trifft auch für die weitere Skulptur von Thomas Rentmeister in der Ausstellung zu, einer knallgelben Wandarbeit aus Polyester (ohne Titel, 2000). In der Gegenüberstellung zu der Nutella-Arbeit markiert die gelbe Arbeit einen Gegenpol. Die Wand trägt die starre Kunststofform, die in ihrer homogenen Oberfläche den aufwendigen Herstellungsprozess völlig unkenntlich werden lässt. Auf dem Boden dagegen liegt die aufgehäufte Schokoladenlandschaft, die ihre prozesshafte Entstehung und die sinnlichen Qualitäten des Materials sehr stark betont. Die Bodenarbeit gibt vor, „wesenhafter“ zu sein und bringt durch die Entsprechung von Form und Material den Gedanken an „Authentizität“ mit ins Spiel. Trotz ihrer archaisch anmutenden Geste bleibt sie allerdings ebenso „künstlich“ wie die synthetische Form an der Wand, die ironischerweise Bewegungsabläufe und gestische Materialbehandlung zu illustrieren scheint. Der nach Bedeutung suchende Betrachter bleibt auf die Reflektion der angeschnittenen Diskurse verwiesen. Dabei strahlen die Arbeiten von Thomas Rentmeister große sinnliche Präsenz, witzigen Charme und eine in sich geschlossene Ruhe aus.
© Ute Riese