Thomas Rentmeister

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Ludwig Cramer-Klett: Food Lab No. 1. Thomas Rentmeister im Gespräch

Interview mit Thomas Rentmeister anlässlich der Ausstellung „Food Lab No. 1“, Contemporary Food Lab, Berlin, 16.09. – 31.10.2013; online: Blog Contemporary Food Lab, September 2013 (deutsch u. engl).

Ich entdeckte Thomas Rentmeister zunächst gar nicht, als ich an einem warmen Sommertag eine alte Industriehalle in Berlin-Weißensee betrat, die der Künstler als Atelier nutzt. Ich bahnte mir einen Weg vorbei an Tischen mit Klecksen unterschiedlicher brauner Massen (erst später würde ich erfahren, dass es sich um kroatische Nussnougataufstriche handelte, die Rentmeister als Material für eine Ausstellung in einem Zagreber Museum testete) und fand ihn schließlich versunken hinter einem Keyboard und professionellen Soundcomputer, mit Kopfhörern auf den Ohren. Er ging seiner großen Leidenschaft nach: Elektronische Musik. Möglicherweise ist er auch wegen dieses coolen Hobbys bei seinen Studenten an der Hochschule für Bildenden Künste Braunschweig (und früher an der Universität der Künste Berlin) so beliebt. Vielleicht liegt es aber auch einfach an seiner bescheidenen und herzlichen Art. Jedenfalls wurde es für mich zu einem Vergnügen, einen Mann kennenzulernen, der sich in der Kunstwelt einen Namen mit spektakulären Aktionen gemacht hat. Der zum Beispiel tonnenweise Zucker zu einer großen Düne aufschüttete, aus der nichts als der Griff eines Einkaufswagens ragte. Oder der sämtliche Fenster einer Galerie mit Styroporblöcken und Nutella als Mörtel zumauerte. Über den Verlauf von mehreren Besuchen konnte ich etwas über die Hintergründe dieser ungewöhnlichen Arbeiten erfahren, den Ort entdecken, an dem sie entstehen und den Künstler durch seinen Alltag begleiten.

Ludwig Cramer-Klett.: Was ist das beste Kunstwerk, das du je gemacht hast?

Thomas Rentmeister: Das waren Kaffeetassen aus dem Jahre 1985. Ich hatte damals gerade angefangen zu studieren. Es waren vierunddreißig zylindrische Tassen, die man ineinander stapeln kann. Man kennt sie aus Krankenhäusern oder Jugendherbergen. Die habe ich an eine Wand gestellt und mit schwarzem Kaffee gefüllt. Und dann habe ich von Tasse zu Tasse immer ein bisschen mehr Milch eingefüllt. So entstand ein Farbband von schwarzem zu hellbraunem Kaffee. An diese Qualität bin ich leider nie mehr rangekommen (lacht).

LCK: Woher kam die Inspiration, mit Lebensmitteln zu arbeiten?

TR: Es war nicht in erster Linie die konzeptuelle Idee, nun mit Lebensmitteln zu arbeiten. Da war einfach diese Kaffeetassen-Idee. Vermutlich hatte es irgendetwas mit meiner Großmutter zu tun. Die hat immer gerne Kaffee getrunken und uns als Kindern auch immer welchen gegeben. Sie hat immer ganz viel Zucker in den Kaffee getan. Das habe ich lange auch so gemacht, mir dann aber irgendwann wieder abgewöhnt. Ich denke, ohne meine Großmutter wäre diese Kaffee-Arbeit nicht entstanden. Der Kaffee meiner Großmutter hatte auch immer so eine bestimmte Farbe. Der durfte nicht zu hell und nicht zu dunkel sein.

LCK: War das deine erste Arbeit mit Lebensmitteln?

TR: Im gleichen Jahr, noch vor meinem Studium, habe ich etwas mit Gummibärchen gemacht. Dann war da noch diese Zuckergeschichte, das war auch 1985. Obwohl ich auch da eigentlich gar nicht so sehr an Lebensmittel gedacht habe, sondern nur an Material und an Gegenstände. Es ging mir um so alltägliche Dinge, das Essen war gar nicht wichtig. Das waren einfach Materialien, die eine spezifische Qualität haben, welche andere Materialien nicht haben. Also zum Beispiel Gummibärchen, ich meine wo findest du schon dieses Material? Das ist schon sehr spezifisch.

LCK: Spielt die Vergänglichkeit von solchen Materialien für dich eine Rolle?

TR: Vielleicht, aber das Vergängliche hat mich eher immer gestört. Am liebsten wäre mir, wenn es nicht vergänglich wäre. Ich hätte zum Beispiel auch Polyester oder Farbe in diese Tassen getan. Einerseits. Andererseits musste es schon echter Kaffee sein. Das war wichtig. Es ist ja ein aufgeladenes Material, man verbindet mit ihm einen Geschmack und Erinnerungen.

LCK: Nahrungsmittel sind ja generell stark bedeutungsgeladen. Es sind tiefe, existenzielle Ebenen, auf denen Nahrungsmittel Menschen ansprechen. Du kannst dich diesen in deiner Arbeit also auch nicht ganz entziehen?

TR: Na ja, es kommt darauf an. Auf jeden Fall steht der Lebensmittelaspekt nicht im Vordergrund. Es geht mir vor allem um Materialien, die eine spezifische, bildhauerische Qualität haben. Zum Beispiel Nutella, die Art und Weise wie es auf dem Boden liegt. Dass ich Lebensmittel wirklich in großen Mengen verwendet habe, fing mit Nutella an. Die Nutella-Arbeiten kamen im Anschluss an meine Polyesterarbeiten, die ich in den Neunzigern gemacht habe. Das waren diese blobartigen, hochpolierten runden Formen. Viele Leute haben damals gesagt, dass sie das an Nougatpralinen erinnert oder an irgendwelche Schoko-Nuggets. Das hat mich ein wenig genervt. Ich wollte, dass meine Kunst fremdartig und irritierend ist und nicht an leckere Pralinen erinnert. Irgendwann machte es dann Klick und ein Schalter wurde umgelegt. Heraus kam dann, dass ich mit Nutella als Material bildhauerisch arbeitete. Es gab diese kleine Nutella-Arbeit im Jahre 1999. Ich habe ein Kunststoffregal an die Wand gehängt und mit Nutella bestrichen, mit einem Frühstücksmesser. Dafür habe ich dann von vielen Leuten einen drüber gekriegt, im Sinne von Schuster-bleib-bei-deinen-Leisten. Polyester-Skulpturen – ok. Aber das ist doch jetzt nichts. Da habe ich natürlich erst recht mit Nutella gearbeitet. Später kamen dann andere Materialien dazu: Chips, Zucker, aber auch Penaten Creme.

LCK: Spielt bei deiner Auswahl der Materialien eigentlich auch eine Rolle, dass sie massenproduziert sind?

TR: Genau das ist es, was mich interessiert. Dieses Serielle, das aus der Minimal Art kommt. Kaffeetassen oder was weiß ich. Das ist schon wichtig.

LCK: Enthält deine Arbeit auch Kritik?

TR: Ich bin eigentlich kein politischer Künstler. Aber 2011 in Ludwigshafen, im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Aldi und Discount in der Kunst, habe ich dreitausend Wurstpackungen gekauft, also diese billig Wurst, „Zimbo“ oder wie die heißt. Möglichst bunt. Von dunkelrotem Schinken bis zu hellroten Mini-Würsten. Und diese ganze Wurst habe ich zu so einer bunten, linsenartigen Aufschüttung auf dem Boden angeordnet. Da ging es wirklich darum zu zeigen, wie ekelhaft alles verpackt ist. Zwischen Wurstscheiben liegt ja beispielsweise oft noch eine Scheibe Plastik. Das ist ja der Horror, wenn man überlegt. Bei jeder Wurstscheibe schmeißt man eine Scheibe Plastik weg.

LCK: Was passiert mit den Materialien eigentlich, nachdem die Ausstellungen zu Ende sind?

TR: Die werden entsorgt, weggeschmissen. Ich habe auch schon eine Tonne Nutella über Jahre im Atelier stehen gehabt und am Ende doch entsorgen müssen. Das ist eben dann doch Material, das man temporär benutzt und das nur für den Zweck der Ausstellung da ist. Auch die Zucker-Düne ist letztendlich entsorgt worden. Zuvor war sie aber in sieben verschiedenen Institutionen zu sehen, insofern hat sich das doch gelohnt.

LCK: Heißt das, diese Art Arbeiten sind nicht für permanente museale Ausstellungen gedacht?

TR: Also, wenn die von einem Museum angekauft werden, werden die auch wieder aufgebaut. Aber so eine Sammlung wird ja oft alle zwei Jahre ausgetauscht. Und dann werden die Materialien halt entsorgt. Wo will man die auch lagern? Man muss es halt neu kaufen, wenn man es neu aufbauen will.

LCK: Also im Endeffekt ist es die Idee oder das Konzept, das der Käufer erwirbt?

TR: Also das große Nutella-Bild und das große Penaten-Bild, die sind so ein Paradebeispiel. Die wurden beide für Bonn installiert und danach entsorgt. Momentan interessiert sich ein Sammler für die Arbeit. Wenn er das kauft, bekommt er ein Zertifikat, das festlegt, in welcher Größe man das wieder aufbauen und neu installieren muss. Etwas, das natürlich für große Kunstsammler überhaupt kein Problem ist. Ob man jetzt einen Richard Serra transportieren lässt für 10.000 Euro oder so ein Nutella Bild neu machen muss für 10.000 Euro – darauf kommt es nicht an.

LCK: Hast du ein schlechtes Gewissen, wenn du so große Mengen an Lebensmitteln wegschmeißt?

TR: Ne! Überhaupt nicht, null! Ich hab zum Beispiel nach dieser Wurstarbeit von einer zwölfjährigen Schülerin eine E-Mail bekommen. Ziemlich penetrant, immer neue Ermahnungen. Wegen mir sei ein Schwein gestorben, oder ein halbes Schwein. Sie hat mir die E-Mail alle paar Tage neu geschickt. Richtiger Psycho Terror. Irgendwann habe ich Ihr dann geantwortet und erklärt wie ich das sehe.

LCK: Und was hast du ihr geschrieben?

TR: Ich weiß nicht mehr genau, aber so nach dem Motto, dass ich es eben für gerechtfertigt halte, Lebensmittel für Kunstwerke zu benutzen und dass sie das vielleicht eines Tages verstehen werde. Ich kann Dir die E-Mail gerne nachher zeigen, die habe ich noch irgendwo.

LCK: Und wie siehst du das? Wie ist dein Verhältnis zum Thema Verschwendung?

TR: Das ist so wenig, diese dreitausend Packungen Wurst, im Vergleich dazu, was täglich an Lebensmitteln vernichtet wird. Auch ganz bewusst vernichtet wird, um zum Beispiel Preise stabil zu halten. Wenn ich als Künstler mit solchen Materialien arbeite und eine oder zwei Installationen mache in zwei Jahren, dann halte ich das für absolut vertretbar.

LCK: Also würdest du sagen, die Auswirkungen, die deine Arbeiten auf das Bewusstsein der Betrachter haben, wiegen den materiellen Verlust auf?

TR: Ja, klar. Die Arbeiten leben ja auch in Bildern, Texten und in Erinnerungen fort. Insofern war die ihnen zugrunde liegende Verwendung von Lebensmitteln ja nicht umsonst.

LCK: Es stellt sich ohnehin die Frage, warum man sich aufregt über eine Arbeit mit Lebensmitteln. Was steht hinter diesem Denken, man dürfe Lebensmittel nicht verschwenden?

TR: Das hat sicherlich in erster Linie mit unserem moralischen Wertesystem zu tun. Was Lebensmittel interessant macht, ist ihre Nähe zum Menschen. Ihre elementare Wichtigkeit. Und deswegen sind Lebensmittel auch für die Kunst wichtig. Ganz einfach! Deswegen sind aber auch Kühlschränke interessant als künstlerisches Material, denn sie sind der Ort, an dem das Essen wohnt.

LCK: Trägt Kunst aus deiner Sicht eine bestimmte Verantwortung?

TR: Klar! Kunst muss gut sein. Die einzige wirkliche Verantwortung ist, dass man keine schlechte Kunst machen darf. Man darf sich nicht belügen. Natürlich kann man sagen, dass gute Kunst auch immer auf irgendeine Art und Weise politisch ist oder etwas mit philosophischen, gesellschaftlichen Themen zu tun hat. Aber dies ist oftmals gar nicht intendiert.

LCK: Und würdest du sagen, dass es dann eher darum geht Wege zu entwickeln, wie Dinge sein sollten, oder aufzuzeigen, wie Dinge tatsächlich sind?

TR: Es ist mehr als nur ein Aufzeigen. Kunst soll auch etwas herausfinden, etwas wie Wahrheit. Aber Kunst hat nicht die Aufgabe zu sagen: Schmeiße keine Lebensmittel weg oder verpacke Lebensmittel nicht in Plastik.

LCK: Wie könnte man Ihre Aufgabe dann beschreiben?

TR: Ich weiß nicht. Letztlich ist eine künstlerische Arbeit einfach das was sie ist. Wenn ich da diese Packungen Wurst hinlege, dann ist es nicht mehr und nicht weniger als das, dass ich dreitausend Packungen Wurst hinlege, fertig. Alles andere ist Spekulation und Gerede, im wahrsten Sinne des Wortes.

LCK: …was ja auch nicht schlecht ist…

TR: Und dafür ist ja Kunst eigentlich auch da! Das man darüber redet. Also, ich würde ja nie auf die Idee kommen, auf einer einsamen Insel Kunst zu machen. Kunst entsteht letztendlich aus kommunikativen Gründen. Das Publikum ist ganz wichtig.

LCK: Das heißt, du kannst auf der einen Seite als Künstler eine Arbeit schaffen und auf der anderen Seite, als Betrachter, auch Teil der Diskussion um diese Arbeit werden?

TR: Na ja. Ich kann über meine eigene Arbeit Anekdoten erzählen, ich kann erzählen, wie sie entstanden ist. Das hab ich den anderen Leuten voraus, einfach weil ich ja beim Entstehungsakt dabei war. Aber bei allem, was darüber hinausgeht, bin ich auch nur einer von vielen. Als Künstler schaffe ich Tatsachen, und die Tatsachen wirken halt vor sich hin.

LCK: Also auch auf dich.

TR: Auf mich selber auch, ja.

LCK: Das bedeutet, du könntest als Künstler Arbeiten aus Materialien schaffen, die du aus einer anderen Perspektive in Frage stellst, weil du den damit einhergehenden Umgang mit den Materialien kritisch betrachtest?

TR: Ich kann gut verstehen, wenn Leute sagen, ich werfe kein Brot weg. Das ist auch ein symbolischer Akt. Ich mache das auch. Ich esse auch Brot, das vertrocknet ist. Das ist eine Frage von Respekt. Das ist, wie wenn man beim Zähneputzen das Wasser abstellt. Ob es wirklich was bringt, weiß ich nicht. Aber das ist einfach so ein symbolischer Akt, vor dem ich Respekt habe. Nur wenn ich Zucker verschwende in der Kunst, dann mache ich das bewusst. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn die Arbeit verlangt verschwenderisch zu sein, weil sie sonst nicht funktioniert. Wenn ich sieben Tonnen Zucker brauche, dann besorge ich mir die. Fertig.

© Ludwig Cramer-Klett und Thomas Rentmeister

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