Thomas Rentmeister

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Katja Blomberg: Tampons und Bratpfannen

Katalogtext zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. Mehr“, Haus am Waldsee, Berlin, 01.03. – 29.04.2007; in: Thomas Rentmeister. Mehr, (Kat.) Haus am Waldsee, Berlin 2007, S. 4–7, engl. S. 74–76.

„Alles was sich ereignet ist unendlich unwahrscheinlich“ (Charles Sanders Peirce, 1878)

Was der amerikanische Philosoph und Physiker Charles Sanders Peirce 1878 so überraschend wie zutreffend feststellte, könnte gut als Motto über dem Werk von Thomas Rentmeister stehen. Nicht nur, dass originale Kunstwerke vor dem Hintergrund der Massenindustrie an sich schon unwahrscheinlich sind, in den Arbeiten des 1964 in Reken/Westfalen geborenen Bildhauers werden Objekte und Materialien des Alltags so zusammengebracht, wie sie sich im übrigen Leben selten begegnen: Bratpfannen und minimalistische Säulenschäfte, Zuckerberge und Einkaufswagen, Tischdecken und Tampons, Papiertaschentücher und Bücherborde.

Voll ironischem Witz konfrontiert Thomas Rentmeister den Betrachter mit dessen eigener Lebenswirklichkeit als Konsument. Inhaltlich übt er mit subtilem Humor Konsumkritik. Auf der formalen Ebene lotet Rentmeister Grenzen der Bildhauerei neu aus und bewegt sich dabei im Spannungsfeld bildhauerischer Traditionen des 20. Jahrhunderts: zwischen Konstruktivismus und Minimal, Pop und Konzept. Plastik ist bei ihm immer wörtlich genommen „Masse“, und diese stammt in den jüngeren Arbeiten stets aus dem Genuss- und Hygienebereich. Stapelnd und bauend geht er konstruktiv vor, wie in den neuen Arbeiten „ohne Titel“ (2006) und „Atomium“ (2006) oder plastisch, wenn er sein Material durch Schütten modelliert wie etwa in der zentralen Rauminstallation einer Zuckerdüne „ohne Titel“ (2007) in der aktuellen Ausstellung.

Um der Bildhauerei ihre Statik zu nehmen und die Vorstellung von Ewigkeit zu relativieren, greift Rentmeister seit einigen Jahren zu vergänglichen Materialien wie Nougat- oder Penatencreme, Zucker, Kartoffelchips oder Papiertaschentüchern. Statt Endgültigkeit zu erzeugen, verfolgt er eine Plastik, die Leichtigkeit, Vorläufigkeit und Humor transportiert. Die Wahrnehmung soll bis an die Grenze getrieben werden, an der Ästhetik in Ekel kippt. Raum und Zeit werden als formkonstitutive Komponenten stets so eingesetzt, dass die Überwältigung durch Masse das Gegenteil von Genuss bewirkt. Auf diesem schmalen Grad gelingt es in besonderer Weise, die Ambivalenz von Schönheit und Ekel, Genuss und Vernunft, Tod und Leben überzeugend zum Ausdruck zu bringen.

In den neueren Arbeiten verliert die früher dominante Farbigkeit zugunsten von jungfräulichem Weiß an Bedeutung. Ihr Aufbau ist darüber hinaus klarer, sanfter und weniger expressiv als zuvor. Auch auf der Geruchsebene gibt es kaum noch Reize zu verarbeiten. Sehr feinsinnig und poetisch beziehen sich sämtliche Arbeiten der Ausstellung auf den schutzlosen Körper, der ungeachtet von Geschlecht und Alter wie die Hülle einer Plastik geformt, gereinigt und gepflegt werden will.

Aus Restbeständen weißer Tischwäsche, die er aus einer aufgegebenen Wäscherei erhalten hatte, entwickelte Rentmeister 2006 eine gestapelte Raumplastik, die gleich am Anfang der Ausstellung zu sehen ist. Weißgebügelte Laken schichtete er zu einem raumgreifenden Quader von fast zwei Kubikmetern. Die Seiten wurden in tagelanger Arbeit mit Zuckerwürfeln, Q-Tipps, Tampons, Zigarettenpapier und Watte vollgestopft, während die Oberfläche mit Papiertaschentüchern, Zucker und Waschpulver bestreut wurde. Der ganze Kubus scheint wie Kunststoff aus einem dichten, weißen Materialmix aus dem Hygiene- und Köperpflegebereich zu bestehen. Nach einer eigenen Rezeptur stellt er eine Art kantigen Haufen dar und erinnert somit nur noch entfernt an minimalistische Plastiken etwa von Donald Judd. Vielmehr führt Rentmeister den Begriff einer streng auf sich selbst verweisenden Kunst weiter, indem er sie erzählerisch auflädt. Wirken die Lagen der Laken nun unregelmäßig gewölbt wie Sedimentgestein oder sogar wie breite, gemalte Pinselstriche, verweisen die Gegenstände selbst auf die alltägliche Körperpflege einer Gesellschaft, die Keimfreiheit fast schon zum Gesetz des Lebens erhoben hat. Um diesen Aspekt noch zu betonen, hat der Künstler Waschmittelperlen auf die Oberfläche gestreut. Dezent verbreitet sich der synthetische Reinlichkeitsgeruch, mit dem die Industrie die Sinne der Konsumenten verführt.

Scham und Intimität, Schützen und Pflegen des Körpers sind die Themen, die in dieser provozierend einfachen Arbeit auf subtile Weise angesprochen werden. Formal vergleichbar hatte Rentmeister 2004 in der Kunsthalle Nürnberg, 2005 im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen und im Museum Boijmans van Beuningen original verpackte Papiertaschentücher zu überdimensionalen Raumkuben aufgebaut. Schriftzug und Farben addierten sich zu abstrakten Mustern, blieben aber als Werbung lesbar. Mit den 2007 entstandenen Arbeiten unterlässt der Künstler alle Hinweise auf die Markenwelt. Es dominieren pure weiße Inhalte, die sich ohne Markenidentität neutral auf den menschlichen Körper beziehen und zu seiner Reinigung (Watte), Heilung (Zuckerwürfel für Medizin) oder auch zu seiner Vernichtung (Zigarettenpapier) beitragen. Durch die einfache Verfügbarkeit der Materialien ist jeder Betrachter unmittelbar angesprochen. Er mag sich nackt fühlen, da er an seinen eigenen Körper erinnert wird. so entsteht ein emotionales Verhältnis zwischen Raum, Plastik und Rezipient.

In der Ausstellung im Haus am Waldsee führt Rentmeister einen Werkgedanken fort, den er im Frühjahr 2006 im Museum am Ostwall in Dortmund mit Massen roher Eier, Erdnussflips und Kartoffelchips zum ersten Mal in dieser Größe zur Anschauung gebracht hatte. In Berlin entstand für den zentralen Ausstellungsraum eine fünf Tonnen schwere Schüttung aus Streuzucker, die in Farbe und Geruch neutrale kühle Schönheit verbreitet. Im Vergleich zu den gröberen Salzgebäckhaufen verhält sich Zucker in seiner Konsistenz ungleich fließender. Die kristalline Oberfläche bricht zudem das Licht in ein sanft strahlendes Weiß und assoziiert weich schwingende Hügellandschaften. Der aufrauschende Bewegungsgestus, den Rentmeister in seinen früheren Nougatarbeiten als malerische Geste räumlich stehen lassen konnte, unterliegt bei der Zuckerdüne einer Gelassenheit, die anderen Zeitrechnungen entspricht. Das reine Weiß lässt die „Zuckerdüne“ fast schwebend erscheinen. Sie erinnert an Schnee, nicht an Sand oder Kot. Schön und ekelhaft zugleich birgt die Düne an ihrem höchsten Punkt jedoch einen gravierenden Störfaktor in Form eines festgefahrenen Einkaufswagens, der Konsum signalisiert. Dessen orangefarbener Griff ragt fremd aus dem Zuckerhaufen hervor. Unmittelbar wird der Gedanke von Überfluss lebendig, gefolgt von der Frage, wie viel Zucker der Mensch eigentlich benötigt, um zu überleben.

Rentmeisters „Zuckerdüne“ erscheint mit seinen Kühlschrank-Penatencreme-Installationen insofern vergleichbar, als hier Objekt und Material ebenfalls auf einer nicht logischen Ebene zusammenfinden. So wie Kühlschrank und Penatencreme für Schutz und Pflege stehen, können Zucker und Einkaufswagen als Hinweis darauf verstanden werden, dass der Körper einerseits Energie aus Nahrung bezieht, selbst aber auch aus Nahrung besteht, die immer häufiger durch Übergenuss zu krankhaften Veränderungen führt. Durch Übertreibung der Materialeinheiten schlägt bei Rentmeister das Schöne der Form inhaltlich ins Bedrohliche um.

Wie erotisch die Materialien in Rentmeisters Werk verwendet werden, zeigt eine weitere Arbeit, die ebenfalls für die Ausstellung im Haus am Waldsee entstanden ist. „Atomium“ (2006) besteht aus filigran zusammengesetzten Wattestäbchen, die sich wie ein Metallgerüst in den Raum schrauben. Wattepads, Tampons, Zuckerwürfel und Pfefferminzpastillen kommentieren, in diesem Fall im kleinen Format, die leichtfüßig konstruktive Arbeit. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass das Material zur Intimpflege mit gelbem Kleber zusammengesetzt wurde und somit scheinbar Gebrauchsspuren trägt. Ekel, Scham und Schönheit liegen auch hier wieder eng beieinander und dies in einem formalen Zusammenhang, der auf den russischen Konstruktivismus der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts verweist, als die abstrakte Konstruktion im Raum noch mit Kampf und nicht wie heute mit Spiel zu tun hatte.

Spielerisch nimmt Rentmeister den Marken ihren Namen und breitet reine Inhalte vor dem Betrachter aus. Sie entbehren jeder Individualität. Durch Übertreibung erweckt er durch seine Arbeiten unseren Möglichkeitssinn und treibt somit die Phantasien in ungewohnte Richtungen. Rentmeisters meist titellose Werke wirken damit nicht nur als Spiegel, sondern erzeugen durchaus auch Unbehagen, Erfahrungen und Gefühle, zu denen wir uns durch Konsum Zugang verschaffen, schlagen bei ihm unmittelbar auf den Betrachter zurück. So auch in seiner jüngsten „Bratpfannenarbeit“, die in geradezu karikierender Weise Betonbrei zu Omelette-Türmen aufbläht. Rentmeister orientiert den Umfang seiner Betonsäulenschäfte an den Durchmessern gebrauchter Bratpfannen. Er ließ die Betonschäfte in einem Spezialbetrieb als makellose Kunstobjekte in minimalistischer Formensprache herstellen. Im Ausstellungsraum wird diese Kunst durch die ungewöhnliche Sockelung in Form von Bratpfannen zugleich wieder in Frage gestellt. Das Zuviel kippt hier in die Frage um, was den eigentlichen Störfaktor darstellt: Die Pfannen als Readymade oder die Skulpturen als Raummaßeinheit? Oder beides zusammen?

Rentmeister argumentiert in seinen Arbeiten stets auf emotionaler, materieller und intellektueller Ebene zugleich. Mit Humor setzt er auf Gegensätze und Überraschungen und bleibt dabei selbst als Person auf Distanz. Individuelle Erfahrung überlässt er dem Betrachter, der hier, im Sinne Donald Judds, die zufällige sinnliche Wirklichkeit der Kunst als einzig verlässliche Wirklichkeit erleben darf.

© Katja Blomberg

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