Jennifer Bork: Thomas Rentmeister
Deutsche Originalversion des Katalogtextes zur Ausstellung „SuperStories. 2de Triënnale voor beeldende kunst, mode en design“, Hasselt 2009, 07.02. – 10.05.2009; in: Super Stories. 2de Triënnale voor beeldende kunst, mode en design, (Kat.) Stichting Kunstboek i.s.m. Triënnale Hasselt vzw., Hasselt 2009, S. 173–176 (niederl. u. engl.).
Luftig-leicht wirkende, spiegelglatt polierte Polyestergebilde, sich frei im Raum ausbreitende breiige Massen von Schokocreme, eine riesige geometrische Form aus hunderten von Papiertaschentuchgroßpackungen oder eine fast sieben Meter hohe Säule aus penatencremeüberzogenen Kühlschränken. Thomas Rentmeisters Werk lebt von der Freude am Experiment mit den Facetten seines künstlerischen Betätigungsfelds. Bisweilen scheinen seine Skulpturen die physikalischen Gesetzte, oder determinierte Materialeigenschaften zu überwinden. Konsequent lotet der Bildhauer die Konventionen zeitgenössischer Perzeption aus.
Die meisten seiner Arbeiten sind nicht an einen bestimmten Standort gebunden. Seine skulpturalen und plastischen Arbeiten lässt der Künstler in Korrespondenz mit divergierenden Orten treten: der öffentliche Raum eines Schaufensters, ein sakraler Kirchenraum, eine Waldlichtung ebenso wie der kompakte Schauraum einer Galerie oder eine riesige Lagerhalle.
Neben Fundstücken der Alltagswelt arbeitet Thomas Rentmeister etwa seit 1999 auch mit vertrauten Markenartikeln wie Nutella, Tempo oder Penaten. Aus dem täglichen Umgang herausgenommen erhalten diese Produkte durch eine Dekontextualisierung neue Bedeutungsebenen in formaler wie inhaltlicher Sicht. Die Abstraktion, die die Transferierung der Alltagsgüter in den Kunstraum erzeugt, verunsichert den Betrachter in seiner bisher sicher geglaubten Betrachtungsweise. Die Sicht auf die Konsumgüter als rein formale Gebilde spielt dabei eine ausschlaggebende Rolle und verweist auf Thomas Rentmeisters Anknüpfung an die amerikanische Minimal-Art. Materialästhetik und die vorgegebene, komplexe Struktur der Warenverpackung generieren ein ästhetisch-künstlerisches Resultat.
So kann die verschachtelte Faltstruktur der knisternden Folienverpackung von Papiertaschentüchern durch Reflexion und Lichtbrechung eine glitzernde verheißungsvolle Aura erhalten. Angeordnet zu einem Kubus steht die Massivität der Form dem verwendeten Material des federleichten Papiertaschentuchs diametral entgegen und erzeugt ein unentschiedenes Hin- und Herpendeln zwischen den Eindrücken von Schwere und Leichtigkeit. Die erzeugte skulpturale Einheit lässt die Profanität des Wegwerfartikels dabei fast in Vergessenheit geraten. Das Massengut funktioniert so als autonomes Kunstwerk. Besonders gut scheint der Wirkungsmechanismus der Wahrnehmungsänderung bei der Verwendung von lebensmittelbezogenem Material zu funktionieren. Der Betrachter befindet sich in einer kontroversen Auseinandersetzung mit seinen Sinnen. Tonnen von Nutella auf dem Fußboden verteilt lösen das Produkt so sehr aus seinem üblichen Assoziationskontext, dass es formal mehr an die alles usurpierende Kreatur aus „The Blob“ erinnert als an den süßen Brotaufstrich. Die materialspezifische cremige Konsistenz scheint sich zu einer bedrohlichen, massiven Einheit zu verdichten. Durch den Geruchssinn aufgerufene Erinnerungen an den wohlbekannten Geschmack verlaufen parallel zum visuellen Eindruck und erzeugen so gleichzeitig ein Gefühl von Unbehagen und Vertrautheit.
Thomas Rentmeisters Rücküberführung von Massenartikeln in den Kontext einer tatsächlich wahrnehmbaren Masse kann nämlich auch als ironischer Umgang mit einer Überflussgesellschaft gedeutet werden, der das Gefühl für Dimensionen immer stärker verloren gegangen ist. Die international operierenden Multikonzerne, deren Erzeugnisse in Rentmeisters Werk immer wieder auftauchen, haben die voranschreitende Entfremdung längst als Problem erkannt. Obwohl sie maschinell täglich tausendfache Stückzahlen anfertigen, erschaffen sie ihren Produkten ein Image, das Beständigkeit und Tradition suggeriert. Der Konsumartikel kann wieder in der Überschaubarkeit der Alltagswelt verortet werden, die selbstgewisse Logik erscheint somit wieder hergestellt. Der Künstler setzt die Strategien der Konzerne subversiv ein, indem er einen erneuten, künstlerisch-ästhetisch motivierten Entfremdungsprozess in Gang setzt. Insofern setzen sich Rentmeisters Arbeiten auch mit gesellschaftlichen Wahrnehmungsmustern von Markenartikeln auseinander. Die Leichtigkeit, der Witz und die Ironie, mit denen sie dies tun, ziehen sich konstant durch Thomas Rentmeisters Gesamtwerk.
© Jennifer Bork