Hannes Böhringer: Kühlschrank kaputt. Zum Werk von Thomas Rentmeister
Katalogtext zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. Objects. Food. Rooms.“, Kunstmuseum Bonn, 19.10.2011 – 05.02.2012; in: Thomas Rentmeister. Objects. Food. Rooms., (Kat.) Kunstmuseum Bonn und Perth Institute of Contemporary Arts, Köln 2011, S. 109f, engl. S. 111f.
Frisch muss es sein und duften, würzig, aber nicht parfümiert. Nur nichts Abgestandenes, nichts, das muffig ist! Doch das Frische wird welk, wird fad. Wie kann man, was frisch ist, konservieren? Ist das, was konserviert wird, noch die Frische des gerade aus der Erde Geholten oder vom Strauch Gepflückten?
Vieles ist frisch gar nicht genießbar. Man muss es ruhen und reifen lassen. Es muss gegart werden, ausgegoren sein. Da sind die Zeiten, in denen nichts wächst. Vorräte müssen angelegt werden. Mäuse dürfen sie nicht annagen. Fisch wird gedörrt und eingesalzen, Gemüse in Öl eingelegt. Äpfel halten sich in kühlen, feuchten Kellern. Kühlung hält frisch, Kühlung konserviert. Mit der Elektrifizierung kommt der Kühlschrank in jeden Haushalt und ersetzt die alten Formen der Konservierung von Nahrungsmitteln.
Der Kühlschrank der Kunst ist das Museum. Dort werden die Kunstwerke aufbewahrt. Dort bleiben sie haltbar. Doch der Aufbewahrungsort verändert die Produkte. Die Lebensmittel werden nun für den Kühlschrank hergestellt. Sie sind schon vorgefertigt, oft schon zubereitet. Man braucht sie nur noch kurz erhitzen. Für den Kühlschrank zu Hause kauft man alles abgepackt in kleinen Portionen. Das Museum hingegen lädt zu großen Formaten ein – kühle Kunst, die den Betrachter auf Abstand hält und trotzdem viele Museumsbesucher anlocken muss.
Auch die Kunst soll frisch sein und darf nicht schnell welk werden. Wie einem guten Koch muss es dem Künstler gelingen, das Frische mit dem Ausgereiften, Geschmorten und Ausgegorenen zu verbinden, die Lebendigkeit würziger Frische zu bewahren und sie nicht durch bloße Kühle zu ersetzen.
Die Kunst entsteht aus Ruhe und Unruhe, aus einem Gekritzel, einer Linie, die fortfährt und nicht aufhört, die ein Gewebe, ein Knäuel erzeugt und in seinem Liniengewirr Gestalten hervorholt, und sie entsteht aus einem Mal, einem Fleck oder Klecks, der ausläuft, sich langsam ausbreitet, an dem man sitzt und herumschmiert, bis die Unbestimmtheit des Flecks Form annimmt. Das Mal ist ein Fleck an einem Ort oder in der Zeit, eine Malzeit, zu der ich mich niederlasse – ich rühre im Brei – oder eine gerötete, geschwollene Stelle am Körper, die juckt und drückt – ich streiche kühle Salbe darüber.
Der Künstler kocht seine Kunst an einem Entzündungsherd, an einer Stelle, die juckt. Da reibt und kratzt er. Die Stelle schwillt an. Sie wird warm und muss gekühlt werden. So entsteht ein Fleck, ein Mal, Aufmerksamkeit für etwas noch Unbestimmtes. Der Fleck ist ein Schmutzfleck. Ich habe mich dreckig gemacht. Fettflecken am Hemd. Ich bin unglücklich. Ich habe mir in die Hose gemacht. Ich sitze in der Scheiße und rühre in ihr herum, denn ich komme nicht heraus. Kunst ist die Alchemie, daraus Gold zu machen, ein Unglück, eine Schwäche oder Obsession strahlen zu lassen. Der Mist, der stinkt, wird süß und schmeckt, ein Mal aus Schokolade.
Am Anfang ist ein Ich-weiß-nicht-was, eine Stelle, die mir zu schaffen macht, Lust und Pein. Sie wird übermalt, aber nicht weggewischt, sondern hervorgehoben, vergrößert. Schön soll sie sein! Das vergrößerte Mal, die geschwollene Stelle, wird gekühlt, vereist und glänzend poliert. Da scheint sie über dem Boden zu schweben, so leicht ist sie geworden, ein unbestimmtes, abgerundetes Irgendetwas – ohne Titel Polyester. Alle Deutungen gleiten an ihm ab. Coole Kunst im Eisschrank der Museen und doch nichts anderes als die hingeschüttete Schokoladenpaste, nur unterschieden in der gefühlten Temperatur.
Wir sitzen in der Misere und versuchen, cool zu bleiben. Das gehört sich so: Lässigkeit, sich nicht erregen und erhitzen, Nonchalance. Doch mit einem Mal – da ist es wieder – versagt mein Kühlschrank. Seine Tür springt auf. Zu viel Hitze, Fieber, zu viel Leiden und Leidenschaft. Der Kühlschrank selbst ist davon angesteckt und braucht eine kühlende Salbe.
Ich bin ein Kühlschrank und versuche mich frisch zu halten, cool zu bleiben. Das Museum ist ein Kühlschrank. Es konserviert die Kunst. Auch hier springt die Tür auf: zu viel Kunst. Sie quillt über und breitet sich überallhin aus. Der Mythos der Moderne war das Neue. Das Alte konnte ins Museum gesteckt und das Museum angezündet werden. Das Neue, die Kunst der Moderne, aber war befremdlich und darum kommentarbedürftig. Das hat sich geändert. Die Kunst ist in der Gesellschaft angekommen und dazu übergegangen, ihrerseits alles Mögliche zu kommentieren: politische Ereignisse, Ikonen der Massenmedien und die eigene Geschichte.
Die moderne Kunst wollte ihre Fußstapfen in Neuschnee setzen. Sie wollte alles, was sie machte, zum ersten Mal machen. In dieser Haltung konnte sie nicht auf Dauer verharren. Die heutige Kunst kommt nicht darum herum, etwas nochmals zu machen, zu wiederholen, zu kommentieren, auf etwas Voraus gegangenes, Vorliegendes anzuspielen. Ein Mal, an dem sie herumrührt, ist immer schon da. Die Kunst ist historisch geworden. Sie muss auf das Neue verzichten, aber das in ihm geborgene Moment der Frische für sich retten. Ein Stapel, zu einem großen Block aufgeschichtete Ready-mades der Konsumwelt, Papiertaschentücher, erinnern an Warhols Brillo Boxes. Festes ist durch Weiches ersetzt worden, aber das Putzen und Säubern geblieben. 5 Minutes later ruft Das Eismeer von Caspar David Friedrich hervor. Ein Schöpfergott hat die Welt erschaffen, und nach fünf Minuten ist sie schon vereist und am Ende. Nearly 100 fridges in a corner folgt den Spuren der Fettecken von Beuys.
Die Ecke ist immer schon eine Stelle, ein geeigneter Fleck für ein Mal. Sie muss nicht erst geschaffen werden. Sie ist schon da. Die Ecke ist nie inmitten eines Raumes, immer exzentrisch: die Position der Kunst in der Gesellschaft. Aus einem Winkel der Gesellschaft wirkt die Kunst in ihre Mitte hinein. Deshalb ist die Kunst von Beuys, insgesamt eine Fettecke, ein letzter utopischer Versuch der modernen Kunst, die Gesellschaft aus einem Winkel heraus zu verändern, eine „soziale Plastik“ zu schaffen, eine neue Gemeinschaft mithilfe von Fett und Wärme. An dem Mal in der Ecke sollen sich alle laben können. In der Ecke steht der Entzündungsherd der Kunst, der alle anstecken, jeden zum Künstler machen soll.
Doch die Hoffnungen haben getrogen. Die moderne Kunst ist aus ihren Winkeln in die Stadt, in jedes Haus gequollen und hat die Gesellschaft nicht verändert. Die Kunst hat sich verändert. Sie musste von der großen Geste des Anfangs und des Endes Abschied nehmen, etwas zu einem ersten oder unwiderruflich letzten Mal zu machen. Sie macht es zum wiederholten Mal.
Die Kunst als große Maschine ist eine ansteigende Menge – fast hundert – in die Ecke hochgestapelter Kühlschränke. Sie könnten Wärmedifferenzen erzeugen, Spannung, innere Kühle und etwas Wärme nach außen, wenn die Kühlschränke nicht kaputt wären. Äußerlich wirken sie noch ganz, aber sie funktionieren nicht mehr. Nearly 100 fridges in a corner entwirft ein Bild vom entropischen Endzustand der Kunst, der keine Wärmeunterschiede mehr produzieren kann. Alles ist kühl. Aber da ist auch nichts mehr, das frisch gehalten werden könnte. Und doch überzieht immer noch eine Fettschicht das Ganze, ein Fastnichts an Wärme und Kühlung zugleich, eine Salbe, die den Schmerz der Enttäuschung lindert. Die Kühlschränke sind leer, sie erscheinen wie Pixel einer digitalen Bildrasterung. Pixel sind die wiederholten Male, die aufgehört haben zu jucken und zu drücken. Doch der Verlust schmerzt. Und deshalb ist da wieder kein Ende, sondern aufs Neue ein Mal.
© Hannes Böhringer