Thomas Rentmeister

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Ellen Seifermann: Minimalpop. Thomas Rentmeister im Gespräch mit Ellen Seifermann

Katalogtext zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. Zwischenlandung“, Kunsthalle Nürnberg, 21.07. – 26.09.2004; in: Thomas Rentmeister. Zwischenlandung, (Kat.) Kunsthalle Nürnberg, Ostfildern 2004, S. 74-80, engl. S. 82-88.

Ellen Seifermann: Wenn man die zweidimensionalen Arbeiten außer Acht lässt und dein Werk rückblickend von heute aus betrachtet, so scheint es zwei geradezu gegensätzliche Hauptlinien zu geben. Da sind einmal die seit Mitte der 1980er Jahre entstandenen Skulpturen, die aus alltäglichen Gegenständen und Materialien zusammengefügt werden und andererseits die Polyesterskulpturen, bei denen du in klassischer Bildhauertradition sorgfältig und präzise eine ganz bestimmte Form modellierst, bevor sie abgeformt und poliert wird. In welchem Verhältnis stehen die formal und materiell unterschiedlichen Werkgruppen zueinander?

Thomas Rentmeister: Ich sehe eigentlich nur eine Hauptlinie oder aber viele Linien nebeneinander; die Polyesterskulpturen nahmen zwar während der 1990er Jahre einen breiten Raum innerhalb meiner Arbeit ein, sie stellen als fertige Skulpturen für mich jedoch nur eine unter mehreren gleichwertigen Werkgruppen dar. Der Produktionsprozess ist im Vergleich zu den gebastelten Arbeiten aus den 1980er Jahren allerdings extrem aufwändig, was sich für mich eher als eine lästige Notwendigkeit darstellt. Mir wäre lieber ich könnte in die Hände klatschen und die Arbeit wäre vollendet.

Vereinfacht könnte man sagen, dass bei den Arbeiten aus den 1980er Jahren das Finden im Vordergrund steht, während bei den Polyesterskulpturen das Formen dominiert. Die Nutella- und Kühlschrankarbeiten (seit 1999) vereinen beide Momente in sich. Santo* besteht z.B. aus einem Stapel von 145 alten Kühlschränken, die ich gesammelt hatte. Beim ersten Aufbau der Skulptur in meinem Atelier schichtete ich die Kühlschränke wochenlang um und fügte sie immer wieder neu zusammen, bis sie eine Form ergaben, die mir gefiel – ähnlich wie ein klassischer Bildhauer den Ton durchwalkt. Die Penatencreme trägt ihr ironisches Quäntchen zu diesem Vergleich bei.

ES: Indem du die Fugen deiner Kühlschrank-Skulpturen mit einer weißen Masse oder Paste verspachtelst, erzielst du den Eindruck einer kompakten Einheit und bringst zugleich deutlich die Malerei ins Spiel. Aber warum gerade mit Penatencreme?

TR: Diese Frage wurde mir schon öfter gestellt. Interessanterweise hat bisher noch niemand gefragt: „Warum eigentlich Kühlschränke?“

Ausschlaggebend für die Entstehung dieser Werkgruppe war das zufällige Entdecken einer Art von absurder Logik beim Zusammentreffen von Kühlschrank und Penatencreme. Damit einher geht sicherlich auch ein malerischer Effekt, der sich aus dem Zusammenwirken der gelblich-weißen Farbe von Creme und Kühlschrank ergibt. Auch die Tatsache, dass Penatencreme Zink – also Metall – enthält, trägt zu dieser Logik bei. Kühlschränke sind ja meistens auch aus Metall.

Der Geruch von Penatencreme, der in den Tiefen der kollektiven Erinnerung untrennbar mit dem Geruch von Babykacke verbunden ist – einer Mischung aus Duft und Gestank –, wird mit einer weiteren allgemein bekannten Geruchskategorie – der von müffelnden Kühlschränken – konfrontiert und zwar in einer hierarchischen Weise. Die Kammern mit ihren individuellen Geruchsnoten werden luftdicht mit Babyduftmasse verkapselt.

Vor allem aber hat die wunderbar steife, zäh-klebrige Konsistenz der Creme mein Bildhauerherz entzückt. Im Zusammenhang mit Kühlschränken kommen einem Ketchup- oder Mayonnaisereste in den Sinn, die häufig in deren Gummiprofilen kleben bleiben. Es ist bekanntlich sehr schwierig, die Gummiritzen von diesen klebrigen Lebensmittelresten zu säubern. Solche Alltagserfahrungen schwingen bei der Dramatik mit, die entsteht, wenn man ganze Kühlschränke – ja sogar Dutzende von Kühlschränken – mit einer der am schwierigsten zu reinigenden Pasten unserer Alltagskultur beschmiert. Zumindest unbewusst stellt der Betrachter der Skulptur sich unweigerlich die Frage: „Wer macht das Ganze denn nun wieder sauber?“. Darauf beruht ein großer Teil der Komik, die in dieser Arbeit steckt.

ES: Sauberkeit oder Reinlichkeit spielt auch in einigen weiteren Arbeiten in der Ausstellung eine Rolle, etwa bei dem großen Kubus aus Familienpackungen von Tempotaschentüchern, bei der mit weißem – also gereinigtem – Zucker gefüllten Kiste, aber auch bei der rosa glänzenden oder der mattschwarzen Polyesterskulptur. Diese Arbeiten sind äußerst empfindlich. Staub, Fingerabdrücke oder Verschmutzung zerstören die ästhetische Qualität ihrer äußeren Erscheinung – ein Risiko, dem fast alle deine Arbeiten ausgesetzt sind. Vor diesem Hintergrund erhält plötzlich die Wandmalerei mit dem Slogan „Penatencreme schützt und beruhigt“, die den Besucher gleich im ersten Raum empfängt, eine ironische, vielleicht sogar schon zynische Bedeutung.

TR: Naja, ich hoffe, dass meine Arbeit nicht allzu zynisch ist, vor allem aber hoffe ich, dass die Leute nicht auf die Idee kommen, die Polyesterskulpturen mit Penatencreme zu beschmieren.

Also, die Wandmalerei ist auf vollkommen unzynische Weise entstanden: Als ich vor zwei Jahren im Hamburger Bahnhof in Berlin meine erste Kühlschrankskulptur whiteware installiert hatte, lagen im ganzen Raum leere Penatencremedosen herum. Die Mitarbeiter des Museums, die mir beim Aufbau der Ausstellung geholfen hatten, kamen nach und nach zu mir und baten darum, jeweils eine dieser Dosen zu signieren, was ich anfangs auch tat. Doch irgendetwas störte mich daran. Als ich darüber nachdachte, wurde mir klar, dass es der Deckel mit dem oben erwähnten Spruch und dem Logo war. Mit der Creme als Substanz konnte ich mich zu dem Zeitpunkt identifizieren, nicht aber mit der Verpackung, weil ihr der Makel einer Corporate Identity anhaftete. Diese Abneigung schlug jedoch nach und nach in Sympathie um, je mehr ich mir dessen bewusst wurde. Die Sympathie wurde noch verstärkt durch die Tatsache, dass der Konzern Johnson und Johnson, der Penatencreme herstellt, keineswegs an einem Materialsponsoring interessiert war (was wir zuvor versucht hatten), sondern im Gegenteil eher skeptisch auf die Verwertung ihres sorgfältig gehegten und gepflegten Produkts im Rahmen von zeitgenössischer Kunst reagierte. Dieses Verhalten machte es mir leicht, das Logo und den Spruch zu mögen, da ich nicht durch einen störenden affirmativen Sponsoring-Mechanismus belastet war. Also produzierte ich erst einmal einen Siebdruck mit dem leicht modifizierten Motiv des Deckels. Daraus entstand die Idee einer großen Wandmalerei, bei der dieses Motiv gleich einem Sonnenaufgang – aber dreimal nebeneinander, jeweils um den Mittelpunkt gedreht – an die Wand gemalt wird.

ES: Penatencreme tritt fast wie ein Leitmotiv in unterschiedlichen Formen in der Ausstellung auf: als Abbild des farbigen Logos in Form von Wandmalerei und Siebdrucken, als formbares bildhauerisches Material sowie als Ready Made in Form eines Einkaufswagens, der mit den handelsüblichen Dosen vollgepackt ist. Ich möchte die Art und Weise, wie Penatencreme in deinen Arbeiten thematisiert wird, nicht direkt mit den strengeren Objektdefinitionen von Joseph Kosuth vergleichen (z.B. One and three chairs von 1965), würde aber gerne wissen, ob es in deiner Arbeit so etwas wie eine analytische Strategie gibt?

TR: Der Vergleich mit Kosuth liegt nahe, doch mein Vorgehen ist nur teilweise analytisch. Das Produkt Penatencreme hat mich anfangs lediglich als bildhauerische Paste interessiert. Mein eigenes künstlerisches Repertoire mit dem Penatenlogo in Form eines Siebdrucks zu ergänzen – z.B. als Ironisierung des supercoolen Andy Warhol durch ein Babyprodukt – könnte man schon eher als strategische Entscheidung ansehen. Jedoch treffe ich derartige Entscheidungen nicht systematisch. Erfahrungsgemäß entstehen meine besten Arbeiten (bzw. diejenigen, die ich für die besten halte) immer zufällig und aus dem Bauch heraus, also bar jeglicher analytischer Planung. Ein gutes Beispiel ist der Kindereinkaufswagen, den ich auf dem Bürgersteig fand. Im Supermarkt wäre er mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen.

ES: Der Einkaufswagen aus dem Jahr 2003 ist typisch für viele deiner Arbeiten, die seit Mitte der 1980er Jahre aus einem spontanen Impuls oder spielerischem Handeln heraus entstanden sind. Auf der anderen Seite experimentierst du aber manchmal auch hartnäckig so lange, bis die Oberfläche einer Arbeit endlich deiner ganz bestimmten Vorstellung entspricht. Erst letzte Woche hast du geschrieben: „Die schwarze Skulptur ist nun endlich so, wie ich sie haben wollte, so richtig schön virtuell matt.“ Wieso virtuell?

TR: Mit virtuell meinte ich strukturlos. Ich versuchte, der Skulptur eine tuchmatte Oberfläche zu geben, bei der die Reflektionen einer Wölbung in eine samtweiche Modellierung diffundieren. Diesen Effekt kennt man eigentlich aus 3-D-Programmen. Dort kann man übrigens den Reflektionsgrad eines virtuellen Körpers stufenlos einstellen – bis hin zu Hochglanz. Ob matt oder glänzend, solch eine absolut strukturlose Oberfläche gibt es in der Realität nicht – das ist eine Idealvorstellung. Dennoch habe ich – vor allem bei den hochglänzenden Polyesterskulpturen – versucht, mittels handwerklicher Perfektion so nah an eine virtuelle Erscheinungsweise heranzukommen wie es die materielle Welt erlaubt.

ES: Obwohl du die Technik selbst nicht zur Produktion einsetzt, beeinflussen die Möglichkeiten der Computertechnologie die Erscheinungsweise deiner Arbeiten, vor allem die Oberflächen und Formen der Polyesterskulpturen, denen du ein hyperkünstliches, in der Realität fremd wirkendes Erscheinungsbild verleihst. Diesen virtuell erscheinenden Objekten stehen Arbeiten gegenüber, die zwar aus alltäglichen, vertrauten Materialien bestehen, aber auch artifiziell verfremdet sind wie z.B. ein großer Kubus aus 2.800 Familienpackungen Papiertaschentücher. Mit dieser Skulptur erzeugst du einen gedanklichen Kurzschluss zwischen Minimal und Pop Art: Als würden Andy Warhols Brillo Boxes in der strengen Gestalt einer Skulptur von Carl Andre aufgehen, lässt du hier zwei Gegenströmungen der Kunstgeschichte funkensprühend aufeinander prallen.

TR: Genau, das Ergebnis ist Minimalpop.

© Ellen Seifermann und Thomas Rentmeister

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