Amy Barrett-Lennard: Objects. Food. Rooms.
Katalogtext zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. Objects. Food. Rooms.“, Kunstmuseum Bonn, 19.10.2011 – 05.02.2012; in: Thomas Rentmeister. Objects. Food. Rooms., (Kat.) Kunstmuseum Bonn und Perth Institute of Contemporary Arts, Köln 2011, S. 75–80, engl. S. 81–86; aus dem Englischen übersetzt von Dieter Kuhaupt.
Für seine erste Monografie – die zu seinen gleichnamigen Ausstellungen in Bonn und Perth erscheint – hat sich Thomas Rentmeister einen treffenden Titel ausgesucht.
„Objects. Food. Rooms.“ (Dinge. Essen. Räume.) ist nicht nur eine griffige Kennzeichnung für Rentmeisters außerordentliches OEuvre der letzten 25 Jahre, sondern es handelt sich dabei zudem um die Kapitelüberschriften aus einem der großen Versexperimente der Moderne, Gertrude Steins Tender Buttons (Zarte Knöpfe).
Zwischen diesen Kapitelüberschriften, ihren Inhalten und den künstlerischen Interessen von Thomas Rentmeister gibt es deutliche Zusammenhänge – Interesse an Dingen außerhalb unserer selbst; Interesse an Dingen, die uns nähren; Interesse an Dingen, die uns umschließen. Es gibt aber noch weitere Parallelen, die sich zwischen dem Werk dieses zeitgenössischen deutschen Künstlers und dem einer der faszinierendsten literarischen und künstlerischen Gestalten des frühen 20. Jahrhunderts ziehen ließen.
Stein hat, wie Rentmeister, einen hochindividuellen, spielerischen, mit Wiederholung arbeitenden, humorvollen Stil entwickelt. Stein experimentierte literarisch mit einer Technik des Bewusstseinsstroms, oft dem Kubismus verbunden; Rentmeister unternimmt hochimaginative Experimente in Malerei, Skulptur und Installation, die Spannungen zwischen Form, Funktion und Phantasie auf „einnehmende“ Weise ausloten.
Hat man sich einige Zeit mit Rentmeisters Arbeiten beschäftigt, so ist es eine geradezu unheimliche Erfahrung, Zarte Knöpfe zu lesen. Kein Wunder, dass er sich zu diesem Text hingezogen fühlte. Steins Interessen an Farbe und an den verschiedenen Eigenschaften von Farbe, am Alltäglichen, am Kombinieren ganz disparater Elemente, dazu eine surreale Verspieltheit – sie alle spiegeln die von Rentmeister.
Vor allem zeigen beide eine auffällige Lust an der Manipulation von Form und Raum: Stein auf der gedruckten Seite mit eigen-sinnigen Wortkombinationen; Rentmeister in den Galerien, Büros, Parks und allen übrigen Orten, an denen er seine Werke behutsam installiert.
Steins experimenteller und seinerzeit hochkontroverser Text beinhaltet eine Reihe von Beschreibungen, die herkömmlicher Syntax ebenso trotzen, wie Rentmeisters räumliche Arrangements aus dem Zusammenhang gerissener Objekte und Materialien allen vorgegebenen Idiomen trotzen. Stein wie Rentmeister haben Werke geschaffen, die komisch und vielschichtig sind und sich festgelegter Bedeutung entziehen. Sie laden zu unterschiedlichen Deutungen, Stellungnahmen und Reaktionen ein.
Judy Grahn hat über Gertrude Stein gesagt, man müsse sich in ihr Werk „einverstehen … sich mit ihm einlassen, sich aktiv damit auseinander- und hineinversetzen. Nichts rausknobeln: reinknobeln.“ [*1) Judy Grahn, Really Reading Gertrude Stein: A Selected Anthology with essays by Judy Grahn, Freedom, Kalifornien, 1989, S. 21.] Das könnte man mit Fug und Recht auch vom Werk Thomas Rentmeisters sagen.
Dinge
EINE KARAFFE, DAS IST EIN BLINDES GLAS.
„Eine Art in Glas und ein Cousin, ein Spektakel und nichts Merkwürdiges eine einzige verletzliche Farbe und ein Arrangement in einem System zum Verweisen. All das und nicht gewöhnlich, nicht ungeordnet im nicht ähnlich sein. Der Unterschied breitet sich aus.“ [*2) Gertrude Stein, Zarte Knöpfe, übersetzt von Maria-Anne Stiebel, unter Mitarbeit von Klaus Reichert, mit einem Nachwort von Klaus Reichert zu Übersetzungsproblemen bei Gertrude Stein, Frankfurt am Main 1979, S. 9.] Gertrude Stein
Zwar zeigen Rentmeisters frühe Arbeiten einen starken „Ready-made“-Aspekt, doch wird vor allem über den durchgängigen Bezug zur Minimal Art in seinem Schaffen gesprochen. Und es ist diese Verbindung zum Minimalismus, an die man zuerst mit Blick auf den Künstler und die Dinge denkt.
Dem Werk des Minimalisten Donald Judd hat Rentmeister sogar den Anstoß dafür zugeschrieben, dass er selbst Künstler wurde. Seine systematischen Anordnungen sich wiederholender Module, dreidimensionaler Objekte, die von dickwandigen Kaffeetassen und Steckerleisten bis zu Papiertaschentücher- Großpackungen und Kühlschränken reichen, sind mehr als nur eine kleine Verbeugung vor den Großmeistern der Minimal Art. Ähnliches gilt für seine monochromen „Gemälde“, die aus aufgespannten Lkw-Planen, Nutella und Penatencreme aufgebaut sind.
Allerdings bestehen zwischen Rentmeisters Werk und dem seiner minimalistischen Vorväter auch augenfällige Unterschiede. Ging es Judd, Andre und Morris beispielsweise darum, ihren Objekten jede Bedeutung zu nehmen, indem sie die handwerklich perfekten architektonischen Formen so aufstellten, dass sich das Auge des Betrachters fast ausschließlich auf ihre kollektive Geometrie und ihre Beziehung zum Raum richtet, so geht Rentmeister weit weniger streng und schematisch vor.
Ohne Zweifel war die Minimal Art eine der wichtigsten und folgenreichsten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts und hat nicht nur in Malerei und Bildhauerei, sondern auch in Musik und Tanz einschneidende Veränderungen bewirkt. Sie war allerdings vollständig humorfrei, etwas, das Rentmeister nun wirklich niemand nachsagen kann.
Wer muss nicht lächeln, wenn er sieht, welche Objekte und Materialien Thomas Rentmeister wählt und wie er sie vor uns – und uns vor ihnen – inszeniert? Von toten Fliegen, geometrisch auf Leinwand aufgeklebt (dem Vernehmen nach von seiner Großmutter täglich gesammelt), sauber gestapelten Tempotaschentücher-Packungen, einem mit Nutella beschmierten, gefundenen Kunststoffregal bis hin zu einer Kollektion weißer Unterwäsche in einer riesigen Plexiglasvitrine – Rentmeister spielt hier. Und auch wir werden gebeten mitzuspielen, unsere Erinnerungen, Assoziationen, Ängste und Fetische in sein Werk einzubringen – und die sinnlichen und emotionalen Lüste auszukosten, die es weckt.
Rentmeister hat selbst erklärt, dass seine Kunst zwar im Minimalismus wurzelt, aber Humor besitzt und ganz bestimmt nicht „bedeutungsrein“ ist. [*3) Zitat aus einem Vortrag von Thomas Rentmeister über sein Werk am Perth Institute of Contemporary Arts, 16. April 2011.] Diese merkwürdige Vokabel mutet zunächst wie ein Übersetzungsfehler an, bekommt aber Sinn, wenn man bedenkt, dass Rentmeisters Werk „Dirty Minimalism“ genannt worden ist, und zwar von Ursula Panhans-Bühler. Sie umschreibt damit den skeptisch-witzigen und ausgesprochen „unreinen“ Minimalismus von Rentmeister. [*4) Ursula Panhans-Bühler, „Schwere Süße und Schwerkraftsüße“, in: Thomas Rentmeister. braun / brown, (Kat.) Kölnischer Kunstverein, Ostfildern 2002, S. 29.]
Dieses Spiel mit dem Reinen/Unreinen treibt der Künstler augenzwinkernd weiter, indem er mit wachsender Vorliebe persönliche Hygieneprodukte in sein Werk einbaut – und weiße noch dazu! Am charmantesten kommt dies vielleicht in seiner Hommage an Reiner Ruthenbeck (ohne Titel, 2005) zum Ausdruck: ein Haufen zerknüllter weißer Papiertaschentücher, die zurückblieben, als der Künstler an einer besonders bösen Wintererkältung litt.
Seit Rentmeister mit Penatencreme, diesem urdeutschen Pflegemittel für wunde Babypopos, höchst effektvoll die Ritzen zwischen aufgestapelten Kühlschränken verspachtelt hat, greift er zunehmend auf Drogerieprodukte zurück – Wattestäbchen, Wattebäusche, Abschmink-Pads, Tampons.
Der Gebrauch dieser überwiegend femininen Produkte kann anfangs ein ungutes Gefühl hinterlassen, zumal, wenn sie so unbekümmert von einem männlichen Künstler im unverhohlen männlichen OEuvre der Minimal Art eingesetzt werden. Aber ebenso, wie Steins Zarte Knöpfe als feministisches Umpflügen einer patriarchalischen Sprache gelesen worden ist, kann Rentmeister vielleicht so verstanden werden, dass er eine visuelle Sprache umpflügt, indem er Gegenstände hochfemininer Natur in den Vordergrund schiebt.
Ein weiterer Unterschied zwischen Rentmeister und den Minimalisten besteht darin, dass er mit Markenzeichen und Logos arbeitet und sie sogar zelebriert. Furchtlos baut er große kubenförmige Strukturen aus Hunderten von Papiertaschentücher-Packungen, wobei der Markenname kühn, x-fach wiederholt und hypnotisch das Bild beherrscht; ohne Scheu füllt er einen Einkaufswagen für Kinder mit Penatencremedosen und stellt später das nur leicht veränderte Penaten-Logo in einer Serie großer Wandgemälde dar.
Es wurde schon angemerkt, dass Rentmeister hierdurch einen „gedanklichen Kurzschluss zwischen Minimal und Pop Art“ [*5) Ellen Seifermann, „Minimalpop. Thomas Rentmeister im Gespräch mit Ellen Seifermann“, in: Thomas Rentmeister. Zwischenlandung, (Kat.) Kunsthalle Nürnberg, Ostfildern 2004, S. 80.] erzeugt und damit, wie der Künstler lakonisch sagt, „Minimalpop“ schafft. [*6) Ebd., S. 80.]
Über „Dinge“ im Zusammenhang mit Rentmeister kann man nicht sprechen, ohne auf seine Polyesterskulpturen einzugehen. Mit diesen Skulpturen begann er in den frühen 1990ern und setzte sie relativ kontinuierlich zehn Jahre fort. Es sind faszinierende Werke, die meist im Spektrum von Hauttönen ausgeführt sind, von braun über pink bis weiß – zuweilen auch waldgrün und sonnenuntergangsorange, um die Skala abzurunden.
Lasziv und etwas unheimlich liegen sie da, reglose Objekte, die die Eigenschaften einer außerirdischen Lebensform zu besitzen scheinen. Ihre hochglanzpolierte Oberfläche und die rundlichen Ausbauchungen und Ausstülpungen geben ihnen ein seltsam flüchtiges Erscheinungsbild, das nicht zu ihrer Festigkeit passt. Sie wirken, als seien sie am jeweiligen Standort nur zwischengelandet und könnten jederzeit wieder abheben und in anderer Form anderswo wieder aufsetzen.
Rentmeister hat bestätigt, dass die Oberfläche einen essenziellen Aspekt dieser Werke darstellt und dass er, wenn er könnte, alles, was unter der Oberfläche liegt, weglassen und die Skulpturen wie virtuelle Hüllen oder unendlich dünnwandige Seifenblasen im realen Raum herumliegen lassen würde. [*7) Udo Kittelmann, „Ein Vorwort oder die braune Periode“, in: Thomas Rentmeister. braun / brown, (Kat.) Kölnischer Kunstverein, Ostfildern 2002, S. 4.]
Essen
ROASTBEEF; HAMMEL; FRÜHSTÜCK; ZUCKER; PREISELBEEREN; MILCH; EIER; APFEL; SCHWÄNZE; LUNCH; TASSEN; RHABARBER; EINZELN; FISCH; KUCHEN; EIERCREME; KARTOFFELN; SPARGEL; BUTTER; SOMMERENDE; WÜRSTE; SELLERIE; KALBFLEISCH; GEMÜSE; KOCHEN; HUHN; GEBÄCK; RAHM; GURKE; DINNER; DINIEREN; ESSEN; SALAT; SAUCE; LACHS; ORANGE; KAKAO; UND KLARE SUPPE UND ORANGEN UND HAFERMEHL; SALATSAUCE UND EINE ARTISCHOCKE; EINE MITTE IN EINEM TISCH. [*8) Gertrude Stein, Zarte Knöpfe, übersetzt von Maria-Anne Stiebel, unter Mitarbeit von Klaus Reichert, mit einem Nachwort von Klaus Reichert zu Übersetzungsproblemen bei Gertrude Stein, Frankfurt am Main 1979, S. 35.] Gertrude Stein
Manche Anthropologen sagen: Wer eine Kultur wirklich verstehen will, muss die Haltungen dieser Kultur zum Sex, zum Tod und zum Essen untersuchen.
Was sagt Rentmeisters Einsatz von Lebensmitteln über unsere Einstellung zu Lebensmitteln aus? Oder: Was sagen unsere Reaktionen auf Rentmeisters Ess-Kunst über unsere Kultur(en) aus?
In Australien wie auch in Deutschland erfreuen wir uns im Normalfall einer gesunden Fülle von Nahrungsmitteln – ja, wir werden amtlicherseits bereits gewarnt, dass uns eine Epidemie von Fettsucht droht, wenn wir zu viel essen oder zu viel vom Falschen essen.
Rentmeisters Dünen aus weißem Zucker, die über Einkaufswagen quellen, seine magen- und augensprengenden Landschaften aus Nutella (manchmal mehrere Tonnen schwer), sein schillernd rotes Meer aus Kartoffelchips mit Paprikageschmack – sie sind beredte Chiffren dieses Exzesses, eines schuldbeladenen Ess-Rausches.
Unzweifelhaft besitzen die fraglichen Rohstoffe formale Eigenschaften, die den Künstler sehr reizen und in manchen Fällen auch skatologische Assoziationen hervorrufen. Die schiere Masse dieser Substanzen und ihr Auftreten im ansonsten strikt „lebensmittelfreien“ Raum der Galerie erlaubt eine Art visueller Dissoziation. Schließlich sind wir daran gewöhnt, solchen Leckereien in weit bescheidenerer Menge und auf dem Küchentisch zu begegnen.
Allerdings wird unsere freischweifende Imagination vor Rentmeisters braunen lavaartigen Landschaften bald in andere Richtungen umgelenkt: Rasch erinnern uns die Geruchsnerven an die wahre Natur des Materials vor uns. Eltern von Kleinkindern und Besitzer nicht stubenreiner Haustiere können sich nur wünschen, dass Sch...e so gut röche!
Nicht nur Lebensmittel selbst hat Rentmeister so wirkmächtig in seine Kunst eingebaut, sondern auch Geräte zum Kochen und Lagern von Nahrung. Seine kubischen Blöcke, chaotischen Assemblagen und abgestuften Zikkurats aus alten Kühlschränken mit einem „Verputz“ aus klebriger Penatencreme (die ihrerseits ganz eigene Geruchserlebnisse und -assoziationen bereithält) führen uns eine andere Art Exzess vor Augen. Wie oft hat die Sucht, ein neues Küchengerät anzuschaffen, uns übermannt, obwohl das alte Gerät noch längst nicht den Geist aufgegeben hatte? Neulich habe ich im Hinterhof einer Elektrohandlung einen veritablen Friedhof solcher Geräte vorgefunden, weggeworfene Küchenapparaturen, deren Besitzer sich bereits an den „lebensverändernden“ Vorzügen eines neuen Modells erfreuten.
Rentmeister haucht den ausgedienten Haushaltsgeräten nicht unbedingt neues Leben ein, schenkt ihnen aber ein gewisses Maß an Würde und Respekt – in seinen Händen werden sie zum kollektiven Denkmal einer Technik der Speisenlagerung, die die Art und Weise revolutioniert hat, wie wir Nahrungsmittel einkaufen, zubereiten, ja sogar erzeugen. Damit wir diese Denkmalsetzung nicht allzu ernst nehmen, schmiert Rentmeister die Kühlschränke mit der besagten Baby-Pflegecreme ein, die uns, aus den Ritzen der Schränke quellend, an die lästigen „Ketchup- und Mayonnaisereste“ erinnert, „die häufig in deren Gummiprofilen hängen bleiben“, die so schwer sauberzuhalten sind. „Solche Alltagserfahrungen“, sagt Rentmeister, „schwingen bei der Dramatik mit, die entsteht, wenn man ganze Kühlschränke – ja sogar Dutzende von Kühlschränken – mit einer der am schwierigsten zu reinigenden Pasten unserer Alltagskultur beschmiert.“ [*9) Ellen Seifermann, „Minimalpop. Thomas Rentmeister im Gespräch mit Ellen Seifermann“, in: Thomas Rentmeister. Zwischenlandung, (Kat.) Kunsthalle Nürnberg, Ostfildern 2004, S. 74f.]
Vom Aufbewahren und Reinigen zum Kochen: Eine der sublimsten Arbeiten Rentmeisters sind gewiss die fünf aneinandergereihten Bratpfannen, die heute, neben anderen Spitzenwerken, zum Bestand des Kunstmuseums Bonn zählen. Erwartungsvoll ruhen sie auf der Erde, während sich aus ihren Grundplatten Betonsäulen unterschiedlicher Höhe erheben, so perfekt gegossen, dass ihre unergründliche Schönheit einem den Atem raubt. Sie sind Anti-Piedestale reinsten Wassers, eine wunderbar postminimalistische Lösung des minimalistischen Säulenfuß-Problems. Sie sind ein schrecklich aus dem Ruder gelaufenes Omelette, das Ausgekochte eines widerstrebenden Kochs, das Vexierrätsel eines Architekten.
Räume
„Strömungen, Strömungen sind nicht in der Luft und auf dem Boden und im Bogen der Tür und dahinter zuerst. Strömungen zeigen es nicht klarer. Das was gemeistert wird hat so dünnen Raum es ganz zu bilden dass da genug Platz ist und doch ist es strittig, das ist es nicht und die Nachdrücklichkeit ist markant. Eine Veränderung liegt in einer Strömung und da gibt es keine bewohnbare Übung.“ [*10) Gertrude Stein, Zarte Knöpfe, übersetzt von Maria-Anne Stiebel, unter Mitarbeit von Klaus Reichert, mit einem Nachwort von Klaus Reichert zu Übersetzungsproblemen bei Gertrude Stein, Frankfurt am Main 1979, S. 86.] Gertrude Stein
Spätestens seit den späten 1980ern zeigt sich in Rentmeisters Schaffen auch ein Interesse an der Darstellung architektonischer Elemente und alltäglicher Bauformen.
Früh lässt er sich von Lüftungsanlagen faszinieren und stellt ein Stück Haustechnik vor, das normalerweise dem Blick entzogen ist. Die formalen Qualitäten dieser kastenartigen modularen Bausteine und ihrer standardisierten Öffnungen werden von Rentmeister zelebriert, vielleicht auch ihre Funktion, einen stetig fließenden Luftstrom zu erzeugen. Allerdings sorgt der Künstler dafür, dass wir das Gefühl bekommen, dass die massive und scheinbar unbewegliche Natur dieser Objekte in merkwürdigem Widerspruch zu ihrem Zweck steht.
Die Verunsicherung setzt sich fort in Werken wie Gemütlichkeitshütte (2005) und Tante Annis Sauna (2002), Räumen, die mit urdeutschen Begrifflichkeiten spielen und – so fremd sie Lebensstilen der südlichen Hemisphäre sein mögen – ungeachtet ihrer Titel, die Behagen assoziieren, etwas nicht ganz Geheures ausstrahlen. Die Gemütlichkeitshütte besteht aus einem schlichten kleinen Holzbau ohne jegliche Verzierung und ohne Öffnungen bis auf ein Flügelfenster, hinter dem, kaum wahrnehmbar, schwache Lebensspuren und winzige Schimmer von „Gemütlichkeit“ aufscheinen. Aus dem Inneren dieser undurchdringlichen Struktur quellen murmelnde Stimmen, Kamingeplauder, gelegentliche Ausbrüche bayrischer Volksmusik und aufreizenderweise das Geräusch, dass sich eine Tür öffnet und schließt. Gelegentlich dehnt und verlangsamt sich die Geräuschspur und nimmt dann einen befremdend futuristischen Ton an, welcher der Hütte einen Augenblick lang die Qualitäten einer Zeitmaschine verleiht.
Auch Tante Annis Sauna (2002) ist ein einfacher Holzkubus. Sauna-ähnlich, jedoch kaum groß genug für einen Erwachsenen, ruht er auf Stahlbeinen. Über seinen Rand hängt auf einer Seite eine bizarre, verstörend biologische Struktur herab. Wie viele Arbeiten Rentmeisters ist Tante Annis Sauna von Kindheitserlebnissen inspiriert, in diesem Falle vom Keller einer Tante, der mit Holz vertäfelt und zu einer Sauna umgebaut worden war. Das Dampfbad selbst empfand Rentmeister als nicht besonders reizvoll, dafür umso mehr aber den Akt des Wasseraufgießens auf heiße Steine, bei dem die Verwandlung von Flüssigkeit zu Dampf zu beobachten war. Diesen Wechsel des Aggregatzustandes beobachtet und thematisiert er erneut beim Guss des riesigen Alu-Löffels. Der Löffel strahlt darüber hinaus ein Gefühl organischer Erschöpfung aus und lässt vielleicht an die dramatischere Veränderung denken, die sich mit einem Menschen vollzieht, der zu lange in der Sauna gesessen hat.
Holzpaneele, wie sie für die obigen „Räume“ verwendet wurden, bilden auch den Baustoff, mit dem Rentmeister den Rand eines bestehenden Raumes nachzeichnet, diesmal in Gestalt einer Wand bei Ellen de Bruijne Projects in Amsterdam 2002. Wieder thematisiert er eine frühe Erinnerung, diesmal an die in den 1970er Jahren in Deutschland beliebte Raumvertäfelung mit Holzpaneelen, die dem Interieur eine erdig-heimelige Note geben sollte.
Die Verkleidung, die Rentmeister 2007 im Rohkunstbau, Schloss Sacrow, an einer Wand anbringt, ist vielleicht die Antithese zum Erdig-Heimeligen. Seine sorgfältig aufgebaute Struktur aus horizontal geschichteten Lagen frisch gebügelter Hotelwäsche, Watte, Wattestäbchen, Tampons, Zuckerwürfeln, Styropor, Tic Tacs, Papiertaschentüchern und Zigarettenblättchen schafft eine Wandverblendung ganz anderer Natur, die eine überwältigende, ja bedrückende Reinlichkeit und Frische verströmt.
Mit einer ähnlichen Kombination von Materialien „weißer als weiß“ entfesselt Rentmeister 2008 in der Ausstellung „… 5 minutes later“ am KW Institute for Contemporary Art ein regelrechtes Chaos. Einen Schritt weiter in diese Richtung geht er bei seinem neuen Werk für Bonn und Perth, für das er sich weitaus mehr Zeit als fünf Minuten lässt wie im obigen Fall: eine großräumige Installation weißer Substanzen und Objekte, darunter Dutzende von Kühlschränken. Diese Arbeit führt seine Interessen an „Dingen – Essen – Räumen“ zu einer Art Synthese und strahlt eine kombinierte Anmutung von Exzess, Spiel und architektonischer Intervention aus wie kein anderes.
Es ist, als habe Gertrude Stein ihre Buchseite auf die Größe eines Riesenplakats ausweiten und ihre Wörter auf dieser Oberfläche mit großem Wurf so verstreuen können, dass sie uns noch mehr verzücken, noch mehr verstricken. In dieses Werk muss man eingehen, man muss es wahrnehmen, man muss es verdauen – alles in gleichem Maße.
© Amy Barrett-Lennard