Thomas Rentmeister

menü

Uta M. Reindl: Gespräche mit Künstlern: „Monochrome Malerei aufblasen und ad absurdum führen“

Interview mit Thomas Rentmeister; in: Kunstforum International, Bd.141, Juli–September 1998, S. 334–343.

Uta Reindl: Die Formen deiner plastischen Arbeiten sind letztlich der Bewegung nachmodelliert – das zeigt ihre Entwicklungsgeschichte. Bewegung hattest du bereits in einem Video von 1989 zum wesentlichen Thema gemacht.

Thomas Rentmeister: Das ist ein 3-minütiger Super-8-Film, den ich später auf Video überspielen ließ: Im Bild sind zwei Piccoloflaschen nebeneinander zu sehen. Zunächst passiert nichts, dann erscheint eine Person im Bild, tritt zwischen die Flaschen und bückt sich kurz. Erst jetzt wird erkennbar, dass es sich um aufblasbare Deko-Champagnerflaschen in Menschengröße handelt. Nachdem die Person – die bin ich im Übrigen – die Szenerie wieder verlassen hat, schaukeln die Flaschen noch im Luftzug leicht hin und her. Erst nach einiger Zeit beginnen die Flaschenhälse, sich superlangsam nach vorn zu neigen – einer nach dem anderen. Spätestens jetzt wird dem Zuschauer klar, dass jemand die Stöpsel herausgezogen hat. Noch bevor die Flaschen ganz in sich zusammensinken können, endet die Sequenz: Das Super-8-Filmmaterial war verbraucht. Dieser Film ist der bisher einzige von mir und ist noch recht dilettantisch, aber ich finde ihn trotzdem charmant. Der Bezug zu meinen Polyesterskulpturen ist offensichtlich: Diese sehen wie aufgeblasen aus und könnten jeden Augenblick ihre Form verändern. Da sie jedoch nichts weiter als ein Stück Hartplastik – also statisch – sind, bleibt diese Bewegung, die ein Gleiten oder ein Flutschen sein könnte, der Phantasie des Betrachters vorbehalten. Im Gegensatz zum Medium Video haben statische Skulpturen nicht die Möglichkeit, mit dem Faktor Zeit zu arbeiten.

UR: In den achtziger Jahren machtest du gefundene und präfabrizierte Gebrauchsgüter – Objets trouvés oder Ready-mades – zum Bestandteil von Assemblagen unterschiedlichen Formates.

TR: Die Ergebnisse dieser ersten künstlerischen Gehversuche – so um 1983 – waren Kompositionen aus kleineren Alltagsgegenständen wie Nadeln, Streichhölzern, Eiern, Zigaretten und so weiter. Ich klebte diese Dinge mit Pattex zusammen, steckte sie ineinander oder stellte sie einfach nebeneinander hin. Im Laufe der Zeit wurden die Versatzstücke größer – Kaffeetassen, Dreifachsteckdosen – bis hin zu fünf Meter hohen Turmgebilden aus ineinander verkeilten Leitern, Fahrrädern, Mülltonnen, Strohballen, allem was greifbar war. Natürlich war mir klar, dass ich nicht als einziger Künstler an Duchamps praktischer Erfindung mit dem Zaubernamen Ready-made herumdokterte. Das machte mich auf Dauer unzufrieden. Außerdem gestand ich mir ein, dass ich eigentlich nur aus Bequemlichkeit mit vorgefertigten Gegenständen arbeitete. Also fing ich 1991 an, mir sozusagen meine Ready-mades selber zu machen, das heißt Objekte aus Polyester herzustellen, wodurch sich für mich ein Kosmos von unerwartet neuen Möglichkeiten eröffnete. Die Entwicklung zeigt, dass der Ursprung meiner Polyesterarbeiten eindeutig nicht in der traditionellen Bildhauerei liegt, obwohl ich sie heute als Skulpturen bezeichne.

UR: Die Bewegung bestimmt das Wesen deiner plastischen Formen, welchen Stellenwert hat dann die Referenzqualität zur Gegenständlichkeit?

TR: Es macht mir Spaß zu sehen, wie oft die Skulpturen auf Gegenstände oder Lebewesen zurückgeführt werden: Assoziationen mit Schnecken, Kothaufen, Kappen oder Körperteilen sind nicht nur bei Laien beliebt. Während der Arbeit verwende sogar ich selbst derartige Bezeichnungen und versuche auch nicht, die Formen davon zu befreien, was mich von den Minimal-Künstlern unterscheidet. Das Bedürfnis nach Gegenständlichkeit oder Figürlichkeit schlägt sich auch in derart einprägsamen Bezeichnungen wie „Blob“ oder „Polyp“ für die durchweg unbetitelten Skulpturen nieder. Meine neue Arbeit etwa wurde von allen Leuten, die sie bisher gesehen haben, einstimmig „Frosch“ genannt. Sie ist zwar grün, hat aber ansonsten sehr wenig mit einem Frosch zu tun.

UR: Warum tragen deine Arbeiten eigentlich keine Titel?

TR: Alle meine Arbeiten sind ohne Titel entstanden. Bei meiner Ausstellung im Bahnwärterhaus in Esslingen allerdings nannte ein Kind eine Skulptur „Rosa Luft“. Da ich schon seit längerer Zeit über eine nachträgliche Betitelung meiner Polyesterskulpturen nachgedacht hatte, war dies für mich ein überzeugender Anlass, dieser Arbeit den Titel zu geben.

UR: Wenn die Titel nach der Vollendung der Arbeiten entstehen, wie sieht überhaupt die Genesis deiner Arbeiten aus?

TR: Der Herstellungsprozess als technischer Ablauf ist für mich sekundär. Mir geht es letztlich um das Verhältnis zwischen Mensch, Raum und Skulptur als Erscheinung. Bei den Polyesterskulpturen ist die Produktion in jedem Fall sehr aufwendig, die Arbeit gliedert sich in zwei Abschnitte: Zuerst wird ein Modell im Maßstab 1:1 gemacht. Diesen Vorgang bezeichne ich als Materialisierung einer Form, von der ich eine mehr oder weniger deutliche Vorstellung habe. Am Anfang helfen mir kleine Kritzelzeichnungen, diese manchmal nur diffuse Ahnung in die Wirklichkeit herüberzuholen. Das geduldige Material Gips ermöglicht es mir, die Form in einem teilweise Monate dauernden Arbeitsprozess zu generieren und später zu präzisieren. Wie bei einem 3D-Computerprogramm betrachte ich das entstehende Objekt aus jeder möglichen Perspektive. So kontrolliere ich bei genauer Beobachtung der jeweiligen Kontur die Veränderungen, die durch das Auftragen oder Abschaben des Gipses entstehen. Dabei schwingt sich die Form im Laufe der Zeit auf eine Endfassung ein, die vielleicht einen Hauch von Objektivität oder Absolutheit für sich beanspruchen kann. Die Voraussetzung für diese Arbeitsmethode ist eine große Menge an Zeit. Die Quantität meiner Produktion ist dadurch extrem eingeschränkt: In den letzten sieben Jahren sind nur elf große und vier kleine Skulpturen – inklusive zwei Jahresgaben – entstanden. Der zweite Arbeitsabschnitt – um noch einmal auf den Arbeitsprozess zurückzukommen – umfasst die Abformung des Modells. Das Ergebnis ist ein dünnwandiger Polyesterhohlkörper.

UR: Die Materialität deiner Arbeiten beziehungsweise ihre spezifische Oberflächenbeschaffenheit bedingt, dass Licht ein weiteres Gestaltungsmittel ist.

TR: Der wesentliche Teil der Polyesterskulpturen ist ihre äußere Schicht. Damit meine ich die „unendlich“ dünne, sich wie eine Seifenblase wölbende Ebene, die sich ganz außen auf der Oberfläche befindet, also den sichtbaren Teil des Materials, den die Hochglanzpolitur markiert. Die darunter liegenden fünf Millimeter sind nur Trägermaterial. Die Perfektion der Politur, die mit einer Abwesenheit jeglichen Duktus einhergeht, weist auf den mathematischen, fiktiven Charakter des gerade beschriebenen Phänomens hin. Also ist der wesentliche Teil der Skulptur eigentlich nur die Idee einer Wölbung und somit real gar nicht vorhanden. Die Oberflächenspiegelungen und ihre Dynamik unterstreichen die immaterielle Wirkung. Bei diffusem Licht ist schwer erkennbar, wo die Skulptur anfängt und der Raum aufhört. Betrachter können oft das Material nicht identifizieren. Sie wollen wissen, ob es sich um einen weichen oder harten Körper handelt und werden wie von einem Magneten angezogen, die Oberfläche zu berühren. Die hinterlassenen Fingerabdrücke beeinträchtigen natürlich die Wirkung, die zur Berührung verführt hat. Das ist ein Problem.

UR: Wenn der Rezipient dir ein Problem ist, weshalb stellst du die Arbeiten nicht aus einem Material her, dass solche Berührungen zulässt?

TR: Der Rezipient ist mir nur ein Problem, wenn er die Sensibilität meiner Arbeiten nicht erkennt oder respektiert. Gemälde darf man gewöhnlich auch nicht anfassen, da stellt sich diese Frage nicht. Außerdem ist das keine Frage des Materials, sondern eine nach dessen Verarbeitung.

UR: Wie fasst du das Verhältnis von Farbe und plastischer Form auf? Durch Kontrastrierung des einen oder anderen Elements erreichst du also eine Steigerung.

T.R.: Bisher habe ich fast ausschließlich unbunte Farben verarbeitet und bewusst auf die attraktive Popwirkung grellfarbener Kunststoffobjekte verzichtet. Mir sind bräunliche Kackfarben und Fleischfarben in gedecktem Rosa sympathisch. Auch dunkle, elegante Töne gefallen mir. Eine schreiende Farbigkeit würde die Reflektionen auf der Oberfläche, die mit der Eigenfarbe des Kunststoffs verschmelzen, zu sehr dominieren – auf Kosten der Transparenz.

U.R.: Du hast vorhin deine Skulpturen im Rezeptionsprozess mit Gemälden verglichen, oft sprichst du im Zusammenhang mit deinen plastischen Arbeiten von Malerei. Auch das geht zurück auf frühe Arbeiten.

T. R: Anfang der neunziger Jahre habe ich große, stabile Holzrahmen mit farbigen Lkw-Planen bespannt. Die Struktur der Plane, die aus einem PVC-beschichteten, feinen Polyestergewebe besteht, ähnelt der einer Malerleinwand. Obwohl ich monochrome Malerei überhaupt nicht mag, hatte ich mit diesen Objekten monochrome Gemälde nachgebildet. Die Planen sind stramm wie ein Trommelfell gespannt und wölben sich in einem kleinen Radius über die leicht abgerundeten Kanten des Holzes. Stell dir vor, jemand würde – wie im Comic – diese Bildobjekte von hinten aufblasen: Mit etwas Humor lässt sich so die Herkunft meiner ersten, blasenartigen Polyesterskulpturen beschreiben: monochrome Malerei aufblasen und ad absurdum führen. Unabhängig von dieser zugegebenermaßen unseriösen Entstehungsgeschichte gibt es pragmatische Indizien für einen engen Zusammenhang zwischen meinen Skulpturen und der Malerei. Diese dürfen – genau wie die meisten Gemälde – nur in Innenräumen aufgestellt werden und auch nicht angefasst werden, da sie sonst innerhalb kürzester Zeit verschleißen. Den Firnis, der bei alter Malerei die darunterliegenden Bilder schützt, könnte man mit der Politur und den dahinter sich bewegenden Spiegelbildern in meinen Arbeiten vergleichen. Jemand hat die Blasenskulpturen einmal als Riesenfarbtropfen bezeichnet.

UR: Sind es autonome Plastiken?

TR: Seit meiner Ausstellung „welcome“ in den damals gerade bezogenen und noch unrenovierten Galerieräumen von Otto Schweins weiß ich, dass die Polyesterskulpturen prima auf einem vergammelten Teppichboden aussehen. Meine nächste Ausstellung wird in der Städtischen Galerie in Nordhorn stattfinden. Dort gibt es auch einen unsäglichen, beigefarbenen Teppichboden. In einer schmuddeligen Umgebung werden die Arbeiten in ihrer hyperästhetischen Härte sympathisch gebrochen. Meine momentane Vorliebe für einen „dirty cube“ – statt des bekannten „white cube“ – möchte ich jedoch nicht dogmatisieren. Während der Entstehungszeit fließt meine gesamte Energie ausschließlich in die Skulptur als autonomes Objekt. Erst nach der Fertigstellung stellt sich die Frage: Was tun mit dem in-die-Welt-geworfenen Plastikstück? Die Eigenschaft, den Umraum spiegelnd in sich aufzusaugen, lässt die Skulpturen immer und überall in eine direkte Korrespondenz mit der Umgebung treten. Je nach Umgebung wechseln die Arbeiten wie Chamäleons ihre Farbe. Diese enge Verbindung mit der sie umgebenden Situation nimmt den Skulpturen etwas von ihrem Autonomiestatus. Sie kommentieren eine schlechte Architektur genauso wie das Verhalten der Rezipienten.

UR: Das klingt aber wieder so, als meintest du es mit dem Rezipienten streng. Ist das auch ein Grund, weshalb es keine Außenarbeiten beziehungsweise keine Kunst im öffentlichen Raum von dir gibt?

TR: Wahrscheinlich werde ich in Nordhorn eine Außenskulptur realisieren. Auf dieser Skulptur dürfen auch Kinder herumturnen.

UR: Deine neueste Arbeit hat sich von den Blop- oder Blubber-Plastiken in Richtung Comic oder alienartiger Figuration entwickelt. Was hat zur Veränderung geführt?

TR: Vor einem Jahr wurde mir die Möglichkeit geboten, in einem Industriebetrieb kostenlos eine Skulptur in Aluminium gießen zu lassen. Dieses Angebot befreite mich von der Frage nach der Realisierbarkeit, und es ermöglichte mir dadurch eine unbefangenere Formgebung. Anders als die älteren monolithischen Haubenformen ist diese Skulptur sehr filigran und rundum geschlossen. Vier schlauchförmige Tentakeln, die schlank aus einem kleinen Körper wachsen und sich zum Boden hin keulenartig verdicken. Hierbei inspirierten mich auch die Dackelskulpturen meiner Freundin Elke Baulig. Später ließ ich die neue Skulptur dann doch auch in hochglänzendem Polyester abformen – Farbton hellrosa. Daraus hat sich meine bisher größte, ganz neue Arbeit entwickelt: Der dunkelgrüne, vorhin schon erwähnte „Frosch“ sieht aus wie ein riesiges, comicartig gezeichnetes Stück Fa-Seife auf zwei Beinen – gewürzt mit etwas Autodesign.

© Uta M. Reindl und Thomas Rentmeister

zurück zu Bibliografie / Texte