Thomas Hirsch: Thomas Rentmeister. Oberfläche im Raum
in: choices Köln, November 2000, S. 26f.
Es scheint nur so. Ein gewölbter großer Korpus über zwei geschwungenen ‚Beinen‘ lässt, comicartig, an einen Frosch denken, eine andere Form (braun) an eine Wärmeflasche, eine dritte (orange) an eine Designercouch. Aber die Gegenstände sind riesig, die Formen, fließend, sind präzise modelliert, eine glänzende Schicht, der Raum spiegelt sich darin. Jeder Blickwechsel zeigt eine andere Ansicht, von der Plastik sowie vom Raum. Die Flächen tragen eine monochrome Lackschicht, die das Künstliche von Signalfarben besitzt. Natürlich löst Thomas Rentmeister die Erwartungen ans Gegenständliche nicht ein; vielleicht nähert er sich seit einigen Jahren dieser Grenze, ohne sie je zu überschreiten. Seit Anfang der neunziger Jahre entstehen die amorphen glänzenden Polyesterplastiken, fast immer Bodenstücke, anfänglich monolithisch, immer Verdichtungen eines Volumens. „Wir sehen einen Körper, der einerseits den Eindruck erweckt, er könne nur so und nicht anders sein, andererseits aber aussieht, als zeige er nur einen möglichen Zustand einer elastischen Substanz, die sich jederzeit vor unseren Augen in etwas ganz anderes verwandeln könnte“, schreibt Karlheinz Lüdeking (Kat. close up, 2000).
Tatsächlich handelt es sich um geradezu ‚klassische‘ Bildhauerarbeiten, die zunächst mit Gips über einem Gerüst entwickelt sind; der Gips wird schichtenweise aufgetragen, und die Arbeit entsteht in einem kontinuierlichen Prozess des Umquerens, Beobachtens von allen Seiten. Und Rentmeister erstellt die Arbeiten direkt auf der Erde, so wie sie später stehen. „Im Prinzip bestehen die Verläufe und Flächen aus einer Vielzahl von Konturen, und wenn ich eine davon verschiebe, ändern sich sämtliche Verhältnisse.“ Thomas Rentmeister entwickelt die Werke aus der Beschäftigung mit der Form, „natürlich könnte ich die Plastiken am Computer entwerfen, aber dabei ginge die unmittelbare Sinnlichkeit, vielleicht auch das Gefühl für die Größenverhältnisse verloren.“
Die Plastiken werden im Negativ-Verfahren in Polyester gegossen, dünnwandige Gebilde, die Flächen zudem noch poliert, mit der Platzierung zugleich Teile des Raumes, dessen Licht sie aufsaugen und dessen Architektur sie widerspiegeln. Thomas Rentmeister wurde 1964 geboren; er hat in Düsseldorf zunächst bei Günther Uecker, dann bei Alfonso Hüppi studiert. Einzelausstellungen finden seit 1989 statt, seit 1991 stellt er in der Galerie von Otto Schweins aus; weiterhin zeigen u.a. das Museum Abteiberg in Mönchengladbach, der Kunstverein Heilbronn und die Städtische Galerie Nordhorn seine Arbeiten. Als Hauptwerk erweisen sich die Polyesterplastiken, daneben gibt es Seitenwege. Ein gelb lackierter (Kleider-)Ständer, Haken im oberen Bereich, etwa. Brauner Faden ist als Spule so gewickelt, dass ein pralles Volumen entsteht, aus dem die Haken ragen. Rentmeister interessiert das Ready-made, der vorgefundene Gegenstand, der mit geringfügigen Veränderungen zum Kunstwerk taugt; es geht hier um Volumen, um Hülle und Kern. So auch bei einer neuen Arbeit, die (vorbereitet durch eine Wandarbeit auf der letztjährigen Art Cologne) derzeit in Wilhelmshaven zu sehen ist. Auf dem Boden breitet sich flüssiges Nutella aus, von Rentmeister mit Bedacht, als plastische Arbeit im Ausstellungsraum angeordnet, schließlich in eine Form gebracht. Die Oberfläche glänzt, und man spürt darunter die Leere, die Luft; man ahnt, dass da vielleicht doch eine kompakte Materie ist, welche die Außenhülle von Innen hält. Und man denkt an die Möglichkeit ihrer Veränderung, an das Vorläufige der Erscheinung als Zustand – wobei nun, in der Tat, diese Plastik in dieser Form nur an diesem Ort bestehen kann.
© Thomas Hirsch (2000)