Michael Krajewski: Der Reiz der braunen Oberflächen
Interview zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. braun“, Kölnischer Kunstverein, Köln, 02.02. – 25.03.2001; in: StadtRevue (Stadtmagazin Köln), Februar 2001, S. 80.
Der 1964 geborene Kölner Künstler Thomas Rentmeister, der sein Atelier im bedrohten Atelierzentrum an der Eupener Straße hat, ist bekannt geworden mit hoch glänzenden Polyesterskulpturen. Neben den zugleich biomorph und technoid erscheinenden Gebilden entstanden völlig anderer Arbeiten. Ob er nebeneinander 100 Tassen Kaffee aufreiht und nach Helligkeit mit Milch abstuft, eine Tonne Nuss-Nougat-Creme ausbreitet, monochrome Bildobjekte aus LKW-Plane oder ein Foto seiner Haut anfertigt, immer lenkt er den Blick auf die Oberfläche. Und die hat in der retrospektiven Ausstellung mit Skulpturen aus 15 Jahren nur einen Farbton.
Michael Krajewski: Warum heißt die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein „braun“?
Thomas Rentmeister: Die Idee hatte Direktor Udo Kittelmann. Er wusste, dass es in meinem bisherigen Werk immer wieder Arbeiten in braunen oder bräunlichen Farbtönen gibt. Die Vorstellung, lauter Kunstwerke in Brauntönen zu arrangieren, inspirierte mich zu vier neuen Arbeiten, die ich dort auch zeigen werde.
MK: Ist Braun Thomas Rentmeisters Lieblingsfarbe?
TR: Nein, aber die Farbe Braun gibt den hyperästhetischen Oberflächen meiner Skulpturen als Gegengewicht eine erdige Komponente. Irgendwann traf ich die ästhetische Entscheidung, verstärkt braunfarbene Kunstwerke herzustellen. Den Ausschlag dafür gab 1990 eine Serie von 15 LKW-Planen-Bildern, Objekte aus stabilen Holzrahmen mit stramm aufgespanntem Planen in allen erhältlichen Farben. Die bunten Farben gefielen mir nach einigen Wochen nicht mehr und ich zerstörte diese Bilder. Übriggeblieben sind nur drei: ein vanillefarbenes, ein paketbandfarbenes und ein dunkelbraunes.
MK: Braun ist im Zuge eines retro ausgerichteten Geschmacks eine Modefarbe geworden: Man trägt wieder braune Cordhosen.
TR: Ich trage seit meiner Kindheit durchgehend braune Cordhosen – nicht ausschließlich natürlich. Mit 12 oder 14 hatte ich sogar mal einen braunen Cordanzug. Braun als Modefarbe oder Anti-Modefarbe interessiert mich aber weniger, sondern vielmehr die Tatsache, dass viele Leute braun als abstoßend empfinden – und gleichzeitig als belustigend-hässlich. Ich erinnere mich noch, wie Udo Kittelmann vor einigen Jahren, als ich mit einer rosa-bräunlichen Jahresgabe in den Kunstverein kam, etwas betreten reagierte und mich von Weiß oder einem anderen Farbton überzeugen wollte. Braun ist die Farbe von Scheiße, also einem Stoff, zu dem – ohne Ausnahme – jeder Mensch eine intime Beziehung hat. Mit dieser naturgegebenen Popularität der Farbe Braun arbeite ich bewusst.
MK: In der Ausstellung sind auch braune Lebensmittel zu sehen.
TR: Ja, vier bis fünf Kubikmeter Nuss-Nougat-Creme. Ursprünglich wollte ich, wie kürzlich in der Galerie Otto Schweins, mit ‚Nutella‘ arbeiten. Für größere Projekte war die Firma Ferrero jedoch nicht zu gewinnen – sie wollte ihr Produkt nicht zu sehr im Umfeld zeitgenössischer Kunst strapaziert wissen. Glücklicherweise hilft uns nun die Firma Winsenia aus Winsen mit ‚Nussenia‘ aus. Das Material wird einfach aus Eimern auf den Boden geleert – und fertig. Die Masse sieht dann so aus, wie ich mir immer das intelligente Ozeangehirn in Stanilaw Lems Roman ‚Solaris‘ vorgestellt habe: ein den ganzen Planeten bedeckendes Meer, aus dem sich ständig neue Wucherungen und Waberungen generieren.
TR: Muss es wirklich Nuss-Nougat-Creme sein, warum nicht ein Kunststoff?
MK: Ein Silikonhaufen kann keinen ‚Nussenia‘- oder ‚Nutella‘-Haufen ersetzen. Erstens duftet Kunststoff nicht, höchstens nach Chemikalien. Zweitens mache ich mir die von Jean Piaget beschriebene klassische Konditionierung zunutze – einfach gesagt: „schmeckt süß – bin glücklich“. Diese Erfahrung kennt fast jeder und sie wird natürlich nur bei einem echten Nougathaufen wachgerufen. Außerdem interessiert mich, dass sogar die Oberfläche von Lebensmitteln ein Design wie aus dem 3D-Cyber-Studio haben kann – Dieter Roth verzeihe mir.
MK: Was ist noch zu sehen?
TR: Ein oder zwei Polyesterskulpturen, die uralte Kaffeetassenarbeit von 1985 in einer Long Version mit knapp 100 Tassen, und eine Arbeit aus dem Jahre 1988: ein geschlossener Container aus braun lackiertem Trapezblech, wie bei Garagentoren, mit einen Ventilator oben rechts, der Luft herausbläst. Dort befindet sich bei Dagobert Ducks Geldspeicher das Fenster, wo er herausguckt und auf die Panzerknacker schießt. Dieser ca. 2 x 2 m große Kubus entstand als eine Art Modell für eine monumentale Gebäudeskulptur: eine komplett geschlossene funktionslose Halle ohne Fenster und Türen in einem Industriegebiet – vergleichbar mit dem Hochregallager der Ford-Werke in Niehl. Ich hatte vorher eine Fotoserie dieser raumverdrängenden, kubischen Zweckarchitektur gemacht. Nach und nach löste sich für mich das Modell aus diesem Gedankenzusammenhang, jetzt sehe ich den Kubus eher als autonome Skulptur.
MK: Welches wird die neueste Arbeit sein?
TR: Ganz neu ist ein Großfoto, bewusst professionell hinter Plexiglas aufgezogen, mit dem Leberfleck, den ich seit meiner Geburt auf meinem linken Schienbein habe. Er sieht in der extremen Vergrößerung von 200 x 140 cm zwar etwas eklig, aber auch abstrakt und geheimnisvoll aus.
© Michael Krajewski und Thomas Rentmeister