Thomas Rentmeister

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Lothar Romain: Thomas Rentmeister. Piepenbrock Nachwuchspreis für Bildhauerei 2002

Laudatio anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Thomas Rentmeister. WerkRaum.10“, Hamburger Bahnhof, 26.07. – 08.09.2002.

Die Oberfläche als greifbare Trennung zwischen plastischer Form und umgebenden Raum, die Oberfläche als Haut, die umspannt, und als Schnittpunkt zwischen Innen und Außen sind wiederkehrende Themen, mit denen sich Thomas Rentmeister in seinen Arbeiten beschäftigt. Dazu kommen Phänomene wie Spiegelung und Durchsicht, Verschließen und Offenlegen, nicht zuletzt auch im wörtlichen Sinne Körperpflege, wenn z. B. ein Block aus Kühlschränken mit Penatencreme eingespachtelt, eingerieben wurde wie Kranke, denen man alle Pflege angedeihen lassen muss. Hier in Rentmeisters Arbeit sind alle Ritzen und Öffnungen sorgfältig weggecremt, die Wunden versiegelt, was Apparat ist, wird als Funktion und Ready Made unterlaufen. Nicht die Form, sondern die Behandlung des Blocks lässt unwillkürlich an Kinderpopo denken: eine skurrile, auch ironische Brechung des tatsächlich Gegebenen und der sich dazu gesellenden Assoziationen. Ein einfacher Gebrauchsgegenstand wie ein kleines Regal zur Ablage wird allseits dick mit Nutella bestrichen. Auch das erinnert an kindliche Freude des Beschmierens mit dieser zähen, süßen, dunkelbraunen Masse, die nicht die Grundform, wohl ihre Erscheinung gründlich verwandelt, weich und klebrig macht, sie gleichsam plastisch aufarbeitet und sie dem Gebrauch entzieht.

Rentmeisters Skulpturen siedeln im Grenzland zwischen der Genauigkeit ihrer plastischen Formulierung und der Vieldeutigkeit ihres Erlebens. Als Form sind sie greifbar und insofern gewiss und leiten doch immer auch ins Ungewisse, wenn man sich ihrer zu vergewissern sucht. Hinzu kommt immer wieder die ebenso spielerische wie ironische Brechung jeder Form von Purismus. Wohl haben ihn die Primärformen des Minimalismus geprägt, doch er hat dessen Unbedingtheit und Wiederholungszwang unterlaufen, hat dem Primat der Nicht-Referentialität misstraut und gebrochen, indem er z.B. wörtlich nimmt, was in einem leeren Container eingeschlossen ist, nämlich Luft. Einen solchen Container hat er schon 1988 aus Stahlblech gebaut, ein verschlossenes Gebilde, in das man mangels Einblick vieles hätte hineingeheimnissen können, wenn nicht ein Ventilator, der hinter einer nicht einsehbaren quadratischen Öffnung in dem 215 cm hohen Kubus oben eingebaut war, nicht eben das permanent ausgeblasen hätte, was allein aus dem Inneren zu befördern war, nämlich Luft. Auch für diese Ausstellung hat Thomas Rentmeister wieder einen geschlossenen Quader gebaut, dieses Mal aus Holz, wie es für den Bau einer Heimsauna verwendet wird. In „Tante Annis Sauna“, so der Titel, kann man auch keinen Einblick nehmen. Und doch ist nicht nur mit der Holzoberfläche deren Inneres gleichsam nach außen gestülpt, sondern der außen angehängte Schöpflöffel verweist auf den ursprünglichen Zweck eines Raumes, der hier nur noch für sich selbst Modell steht. Der Dampf allerdings, der einst durch das Übergießen mit Wasser erzeugt wurde, ist längst verflogen bzw. hat sich als Erinnerung niedergeschlagen in der Verformung des Löffels, als sei dieser selbst teilweise im Dampf flüssig geworden.

Das Innere einhüllen und doch zugleich preisgeben: die Polyesterplastiken, die den Künstler bekannt gemacht haben und auf die sich auch die Jury insbesondere bezogen hat, stellen ein originäres plastisches Konzept dar, das eben mit dem Prinzip der Verquickung von außen und innen ebenso arbeitet wie mit der von Körper und Raum, von flüssig und fest, von fest liegen und wie zum Abheben bereit sein. Diese seltsam Raum ausfüllenden und doch zugleich wie farbige Luft erscheinenden Gebilde sind greifbar und entziehen sich doch jeder schnellen Vergewisserung und Orientierung. „Das ist ja rosa Luft!“ hat einmal spontan ein Kind angesichts der Arbeiten von Thomas Rentmeister gerufen und in Bezug auf diese Plastiken intuitiv eben so viel Wahrheit ausgesprochen wie sein berühmter Vorgänger in Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.

Die Assoziation zu Seifenblasen kommt nicht von ungefähr. Es scheint, als habe sich Luft verflüssigt und sei zu Boden getropft und dort in vielfältigen, unteilbaren Formen für einen Moment materialisiert. Frühere Arbeiten haben die Bewegung als inne gehaltenes Fließen noch deutlicher heraus gearbeitet, als wollten die Körper sich ihren Zustand nur vorübergehend akzeptieren. „Die Abstraktion der Formen von Rentmeister“, so hat Friedrich Meschede dieses Phänomen beschrieben, „ist nicht in der Tradition abstrahierter Naturformen zu sehen, sondern in der permanent fließenden Wandlung von Bildern, wie sie von 3-D-Programmen am Computer erzeugt werden. Es ist dieses ‚Kino‘ der vorgetäuschten Körper und Dimensionen, das Rentmeister anregt, einen Moment anzuhalten und zu verfestigen.“

Auch wenn die Gebilde wie die hier am Eingang präsentierte Arbeit der Gestalt nach den Eindruck des Fließens mehr als andere Arbeiten zurücknehmen, so bleibt doch ein Hauch von Vorläufigkeit, befördert gerade durch die gleichförmige, perfekte Oberfläche, die als farbige Form greifbar ist und zugleich doch dem Auge keine vergleichbare Sicherheit bietet, wie sie die Hände zumindest beim Zugreifen gewinnen könnten. Das liegt zunächst an der Vorbildlosigkeit der Körper, die sich nicht oder höchst selten auf Dinge aus unserer Erfahrungswelt zurückführen lassen. Gewiss kann man bei einem an ein Stück Seife denken, das durch viele Hände gegangen eine so nie berechenbare neue Form erhalten hat, oder man fühlt sich - wie bei einer anderen Polyesterarbeit in der Ausstellung - vage an Wärmflasche erinnert, aber solche Hilfen reichen nicht, um die Form in gewohnter Weise zu identifizieren. Sie sind im Entwurf dem Virtuellen näher als Abstraktionen der bekannten Dingwelt.

Dabei entstehen sie in klassischer Weise des Formens als Polyesterabguss eines vorher gefertigten Gipsmodells. Durch diesen Guss verlieren sie die körperliche Schwere und Kompaktheit, entstehen als dünnhäutige Volumina, die greifbar dennoch nicht begriffen sind. Die farbige Haut ist zu einer perfekten, glänzenden und zugleich spiegelnden Hülle poliert. Von aufgeblasener, monochromer Malerei, die so ad absurdum geführt werde, hat Rentmeister selbst einmal gesprochen, wobei dieses ad absurdum dem Effekt zu verdanken ist, dass die klar begrenzte malerische Fläche in eine unbegrenzte Körperlichkeit verwandelt wird. Man kann sich, weil die Begrenzung und ihr Ausstrahlen in den Raum fehlen, nicht meditierend hineindenken.

Im Gegenteil: die spiegelnde Oberfläche zieht ihrerseits den Raum in sich hinein, taucht ihn samt den Betrachter, seine Dimensionen und Formen verzerrend, tief in die Farbe der Oberfläche als würde die Realität ins Innere versenkt und als Bild nicht des bloßen Widerscheins, sondern in grundsätzlich veränderter Konstellation neu geboren. Diese Konstellation ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bilder nicht festzuhalten sind. Das Innere hat keinen definierten Ort, sondern erweist sich als ein eigenes Universum, das beim Umgehen denselben Umraum in stets anderen Krümmungen aufscheinen lässt, der Relativität unterworfen und somit nie eindeutig fixierbar.

Der Betrachter, darauf hat Ursula Panhans-Bühler zurecht hingewiesen, gehört zu diesem merkwürdigen Austausch, der verhindert, dass man sich auf eine das Ganze erfassenden Weise positionieren kann. „So wie die Skulptur zwei-in-eins wird“, schreibt sie, „taktile Oberfläche und optisches Angebot der Distanz, so wird auch der Betrachter zwei-in-eins: reflektiertes Bild, aber nicht mehr getrennt vom Raum, in dem er sich tatsächlich befindet. Dem Betrachter als zurückgespiegeltem Fleck im Bild der Welt entspricht die Skulptur, die ihrerseits ein ‚Materialfleck‘ im Raum und im Bild des Betrachters ist. Die isolationistische Beziehung Skulptur-Betrachter, mit all ihren exklusiven projektiven Folgen, wird leise auf etwas Realeres, die gegebene Situation an diesem spezifischen Ort umdirigiert.“ Aber - so müsste man ergänzen - ohne dass dieser spezifische Ort im Austausch von innen und außen der Skulptur eindeutig verortet werden könnte. Es geht bewusst auch um diese Irritation, nicht um die Vision des Universalen, die allen voran Brancusi in den blanken Oberflächen seiner Körper einfangen wollte. Die unberechenbaren Verzerrungen und Entformungen auf Rentmeisters Arbeiten haben keinen mythischen oder metaphysischen Anspruch, sondern sind sehr diesseitig stets auch mit einem Schuss Ironie und Lächeln unterlegt.

Die Spannung zwischen taktiler Oberfläche und dem Anschein farbiger Luft kommt auch in einer neuen Arbeit, die Rentmeister für diese Ausstellung gemacht hat, zum Ausdruck. Ein großes Gehäuse aus durchsichtigem braun getöntem Kunststoff schließt ein und überwölbt eine Lage von Unterwäsche, die auf dem Boden ausgelegt ist. Was die Wäsche betrifft, so verweist Rentmeister auch hier auf sein grundsätzliches Interesse an Haut und Bekleidung, am Enthüllen und Einhüllen, die banale, aber deshalb skurrile, völlig unpathetische Verdinglichung großer Begriffe in Form von Unterhemd und -hose. Die Box gibt ihr Inneres preis, und siehe, es ist fern allen Geheimnisses. Aber das Gehäuse steht wie ein Gebilde aus gefärbter Luft im Raum und führt auf seine Weise das Thema von Sein und Scheinen, von taktil und durchlässig fort: hier geht es gleichermaßen um Einhüllen wie Aufdecken, um Schutzraum und Luftgebilde, um die Trennung zweier Luftsphären auch durch die unterschiedliche Tonigkeit des Lichtes.

Diese kurze Würdigung kann und will nicht auf alle gezeigten Arbeiten eingehen, sondern wollte ein paar Grundaspekte der Arbeit von Thomas Rentmeister beleuchten. Dazu gehört auch, dass die Ausstellung sich nicht als ein Arrangement von Highlights der letzten zehn Jahre künstlerischer Tätigkeit präsentiert, sondern als sparsame, auf den Raum hin konzipierte Inszenierung, für die er auch eine Reihe neuer Arbeiten geschaffen hat. Die Vorgaben des Raumes und seine Lichtverhältnisse sind als wichtige Kriterien mit einbezogen; denn auch in dieser Weise ist das Thema Skulptur für Rentmeister nach seinen Möglichkeiten neu zu befragen. In einer Zeit, da die Installation die Plastik zu verdrängen scheint, hat Thomas Rentmeister nicht nur eigene, überzeugende Wege in dieser nach wie vor wichtigen Gattung eingeschlagen, sondern auch deren raumbezogene, raumverpflichtete Präsentation in seine Arbeit einbezogen. Dafür hat ihm die Jury den Preis zuerkannt, nicht nur um eine Leistung zu würdigen, sondern vor allem, um ihn in seinem Weg zu bestärken.

© Lothar Romain

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