Thomas Rentmeister

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Karlheinz Lüdeking: Thomas Rentmeisters morphologischer Minimalismus

Katalogtext zur Ausstellung „close up“, Kunstverein Freiburg im Breisgau, 19.05 – 02.07.2000, und Kunsthaus Baselland, 19.05 – 30.07.2000; in: close up, (Kat.) Kunstverein Freiburg im Breisgau und Kunsthaus Baselland, Freiburg / Muttenz 2000, S. 124f.

Am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts wird es offenbar möglich, die künstlerischen Einsichten des Minimalismus auf eine neue Ebene zu transformieren. Das Werk von Thomas Rentmeister zeigt dies sehr deutlich. Schon seit geraumer Zeit findet man bei ihm keine rechtwinkligen, linear begrenzten Körper mehr, keine Quader, keine Kuben, auch keine seriellen Anordnungen. Dennoch sucht Rentmeister weiterhin nach möglichst reduzierten Formen. Er benutzt Materialien, die auch in der Industrie verwendet werden. Die Farbe seiner Objekte ist immer unmodulierte Eigenfarbe. Und obwohl uns die von ihm geformten Körper neuerdings in betont organischen Gestalten entgegentreten, entziehen sie sich nach wie vor jeder anthropomorphischen Einfühlung. Das lässt sich sehr gut an seiner letzten Arbeit beobachten, einem Objekt mit dem Titel „ohne Titel“ aus dem Jahre 1999.

Auf den ersten Blick hat dieses Objekt kaum etwas Auffälliges an sich. Ergonomisch geformt und auf Hochglanz poliert präsentiert es sich genauso wie viele der Dinge, die uns alltäglich von der Konsumgüterindustrie angedient werden. Es sieht aus, als sei seine Form das immer wieder verbesserte Resultat von zahlreichen Tests und Messungen, die in einem ingenieurwissenschaftlichen Forschungsinstitut durchgeführt wurden. Befremdlich ist jedoch, dass hier trotz der höchst funktional erscheinenden Form keine Funktion zu erkennen ist. Das Ding zeigt nicht, wozu es gut sein könnte. Es verrät, wie die meisten unserer Gebrauchsgegenstände, die immer effektiver und immer unverständlicher werden, überhaupt nichts über sein Inneres. Wir haben es mit einer reinen Oberfläche zu tun, die den Blick abweist, um nur den Anblick des Raumes, in dem wir uns faktisch befinden, in einer willkürlichen topologischen Verzerrung wiederzugeben. Das ist das Gegenteil dessen, was man traditionellerweise von einer Skulptur erwartet. Dennoch ist die Form mit der größten Sorgfalt ausgearbeitet, was sich zum Beispiel daran erweist, dass die eine Seite ohne erkennbaren Grund ein wenig abgeflacht ist. Wir sehen einen Körper, der einerseits den Eindruck erweckt, er könne nur so und nicht anders sein, andererseits aber aussieht, als zeige er nur einen möglichen Zustand einer elastischen Substanz, die sich jederzeit vor unseren Augen in etwas ganz anderes verwandeln könnte.

Das hängt damit zusammen, dass wir dem Objekt zwar in unserer eigenen konkreten Leiblichkeit begegnen, in ihm aber kein ebensolches Gegenüber finden. Schon die makellos polierte Haut des Dinges signalisiert seine Unberührbarkeit. So ist das Objekt zwar real vorhanden, für uns bleibt es aber dennoch eine rein visuelle Erscheinung. Dementsprechend erwarten wir, was wir von dem Anblick virtueller Objekte auf unseren Bildschirmen gewohnt sind: Das Ding könnte sich bewegen. Nun können wir aber wieder nicht wissen, ob es mit seiner leichten Asymmetrie träge zur Seite sinken wird oder ob es sich alsbald wie eine schimmernde Blase weiter aufbläht, um sich vom Boden zu lösen und in die Luft aufzuschweben. Gewicht, Masse und Konsistenz des Objektes sind, genau wie bei den Dingen in computergenerierten Welten, nur aufgrund des Aussehens zu erschließen. Entsteht die Delle durch äußeren Druck oder aufgrund einer inneren Schwäche? Wir können es nicht sagen, weil wir mit künstlichen Körpern wie diesem keine Erfahrungen teilen.

Anders als bei den Würfeln und Kästen von Robert Morris, Donald Judd oder Tony Smith dürfen wir uns hier offenbar nicht länger als Körper zusammen mit anderen Körpern in unserer gemeinsamen Welt zu Hause fühlen. Wir stehen vielmehr irritiert vor einem Fremdkörper, der uns trotz seiner simplen Form immer rätselhafter wird, weil er sich eigentlich nur aus den irrealen Welten, die wir auf unseren Monitoren sehen, materialisiert haben kann. Hier bieten uns auch die Schriften von Maurice Merleau-Ponty, die den Minimalismus der Sechziger Jahre noch so schön erklären konnten, keinen Beistand mehr. So unsicher ist unser Verhältnis zu den Dingen heutzutage schon geworden.

© Karlheinz Lüdeking

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