Thomas Rentmeister

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Jens Peter Koerver: Nutella als zäher Fluss der Lava

Review zur Ausstellung „Thomas Rentmeister. Kulturpaste“, Galerie Otto Schweins, Köln, 03.11. – 23.12.2000; in: Kölner Stadt-Anzeiger, 19. Dezember 2000, S. 17.

Skulpturen appellieren an den Tastsinn, sie wollen auch mit der Hand gesehen werden, die Berührung begleitet das Sehen. Die hochglänzenden, farbigen Kunststoffoberflächen der Skulpturen, von Thomas Rentmeister (geboren 1964) verlocken unwillkürlich zu solchem Tun. Bereits ein Fingerabdruck aber zerstört ihre Makellosigkeit und Perfektion. Ebenso würden Berührungsspuren die gekrümmten, verzerrten Spiegelungen des Umraums stören, die schimmernden und gleißenden Lichtreflexe, die die polierten Skulpturen überziehen und beinahe immateriell erscheinen lassen. Mit jeder Bewegung des Betrachters verändern sich diese Spiegelbilder, wandern Lichtpunkte und langgestreckte Reflexe auf der Kunststoffoberfläche, verschmelzen mit ihr und verhindern so ein „reines“ Sehen der Form.

Die Arbeit Thomas Rentmeisters handelt untergründig von Verwandlung, stets meint man nur einen vorübergehenden Zustand vor Augen zu haben, da die Skulpturen in einer, mitunter nur ganz leichten, langsamen Bewegung, Veränderung begriffen scheinen. Diese Aspekte werden in der Ausstellung an zwei neuen Polyesterarbeiten deutlich. Eine dunkelgrüne, an eine Wärmflasche oder einen stark stilisierten, liegenden Rumpf mit Kopf erinnernde Bodenarbeit richtet sich in einer einzigen spannungsvollen, doch ruhigen Bewegung aus der horizontalen Lagerung leicht auf. In der Form komplexer erscheint ein gelbes Wandstück. Kleinteilig, beinahe expressiv windet es sich, es könnte jeden Moment seine Lage, seine gesamte Erscheinung verändern. Auf der organischen, wie knubbeligen Oberfläche zeichnet sich ein Geschehen im Inneren ab, kündigen sich Ausdehnungen, Streckungen des Körpers an.

Besonders spektakulär ist eine unbetitelte Bodenarbeit, deren lapidare Materialangabe „Nutella“ lautet. Eine Tonne des schokoladenfarbenen Brotaufstrichs wurden von Thomas Rentmeister zu einer mehr als fünf Meter langen, dreieinhalb Meter breiten und 25 Zentimeter hohen, charakteristisch riechenden Bodenskulptur verarbeitet. Ausgegossen und mit Kellen geschöpft hat das cremige Material im zähen Fluss wie Lava seine eigenen Formen gefunden. Entstanden ist eine leicht gestreckte Nutellainsel mit vielfältig gerundeter, geschwungener Kontur. Trotz aller Wülste, Fäden, zäher Kringel und Schlieren bildet das Material eine glatte, homogene Oberfläche, die haptische Sensationen verspricht, zur Berührung einlädt. Vielfältig bricht sich das Licht auf dieser verhalten glänzenden Haut, zahlreiche Lichtreflexe überziehen die bewegte Oberfläche und verlebendigen sie zusätzlich. Ein geschlossenes flaches Volumen, dem Schwere und Masse ebenso anzusehen sind wie die Möglichkeit der Veränderung, als könnte sich der träge Fluss wieder in Bewegung setzen. Tatsächlich härtet die Schokoladencreme nicht aus, sie für die Neuinstallation der Arbeit wieder verwendet werden und eine andere Form erhalten.

Zunächst scheint diese einfache Platzierung eines Lebensmittels nichts mit den aufwändig gearbeiteten, organoiden Kunststoffskulpturen zu tun zu haben. Rasch erweisen sich aber Bezüge, Ähnlichkeiten und (selbst)ironische Anspielungen, etwa auf die in anderen Arbeiten gerne verwendeten Brauntöne. Zudem gelingt es Thomas Rentmeister mit Werken wie dieser Schokoladenskulptur eine einseitige Festlegung auf die außerordentlich markanten Polyesterarbeiten zu unterlaufen. – Für die in den Räumen der Galerie Otto Schweins eingerichtete Arbeit gilt: wer nicht widerstehen kann und sie nicht nur mit den Augen berührt, trägt selbst eine Spur davon.

© Jens Peter Koerver

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