Thomas Rentmeister

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Thomas Rentmeister. Hommeland

Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung „Thomas Rentmeister. Hommeland“, Kunstverein Wolfenbüttel, 01.11.2016, 01.11. – 04.12.2016.

„Hommeland“ nennt Thomas Rentmeister die Ausstellung, die er hier in den Räumen des Kunstvereins Wolfenbüttel eingerichtet hat. Was mag das sein? „Hommeland“? Es klingt ein wenig nach „Homeland“, nach Heimat. Oder wie der Titel der gleichnamigen amerikanischen Fernsehserie „Homeland“, in der es von Geheimdiensten, Verschwörungstheorien und Erniedrigungsphantasien nur so wimmelt. Die unübersehbare Differenz zur Ernst Bloch’schen Heimat, „worin noch niemand war“ und zur Fernsehserie, die den „Kampf mit sich selbst“ in Szene setzt, um amerikanische Werte mit Brachialgewalt zu verteidigen, resultiert aus einer Verdopplung. Das zweifache Vorkommen des Buchstabens „m“ macht aus „Homeland“ eben „Hommeland“ und verweist damit in Richtung jenes Wunderlands, das Lewis Carroll einst beschrieb. Oder auch jener märchenhaften Insel „Lummerland“, von der aus Michael Ende seine Protagonisten Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer zu ihren abenteuerlichen Reisen aufbrechen ließ.

Abenteuer sind stets mit Umwegen, Missverständnissen und Verwicklungen verbunden. Solche Komplikationen mag Thomas Rentmeister nicht sonderlich. Seine Kunst gewinnt ihre Präsenz daraus, dass sie da ist: einfach, klar und schlicht. Sie verweist auf den ersten Blick nicht auf etwas Abwesendes, sondern gewinnt ihren Wert aus der Anwesenheit von Materialien, austarierten Größen- und Kräfteverhältnissen und einem nicht anders als selbstverständlich zu nennenden Gewordensein. Diese Gegenwärtigkeit in der Kunst hat Frank Stella 1964 in den prägnanten Satz „What you see is what you see“ gekleidet. Nicht von ungefähr verweisen Thomas Rentmeisters skulpturale Konstruktionen daher auf die 1960er Jahre in den USA, als Dan Flavin eine „im Rinnstein aufgelesene, flachgedrückte Dose Luis Lozano Olivenöl, gezeigt als sie selbst,“ an einem goldenen Kasten befestigte und mit der Aufschrift „Mira, Mira“ versehen hat.

So ist es Thomas Rentmeister gelungen, in einer unspektakulären Bretterwand eine Reminiszenz an Jasper Johns berühmte „Flag“, wiederum aus dem Jahr 1964, aufzuspüren, auch wenn aus den funkelnden Sternen von einst nun Rosetten geworden sind, wie sie als Zierdekor allerorten im Baumarkt erhältlich sind. Ebenso lassen bei Thomas Rentmeisters gusseiserner Wandarbeit die „Blips“ von Richard Artschwager von Ferne grüßen, während „ohne Titel (Komma)“, eine Konstruktion aus weiß gestrichenen und dunkel gebeizten Holzlatten, die ein Element aus Gusseisen in sich birgt, in ihrer Konkretheit eine Hommage an die russischen Konstruktivisten darstellt.

Zwar gibt es also diverse Anknüpfungspunkte an die Minimal Art, doch belässt es Thomas Rentmeister nicht dabei. So ist ihm, wie es scheint, die der Minimal Art inhärente heroische Geste des Bildhauers, der sich, Prometheus gleich, der Fesseln der Schwerkraft entledigt und die Parameter von Raum und Zeit eigenmächtig festlegt, suspekt. Vielmehr greift er stets auf Gefundenes zurück – und damit auf etwas, dem Historizität und Gewordensein bereits innewohnen. Vom Finden und Gefundenwerden handeln seine skulpturalen Versuchsanordnungen. „Eisenmatratze“ etwa ist zweifellos keine Neuschöpfung des Künstlers, sondern eine komplexe mechanische Verdopplung dessen, was Thomas Rentmeister vorgefunden hat; hier eine Kindermatratze, deren Form er durch das Verfahren des Eisengusses reproduziert hat – wodurch er – paradox genug – das Massenprodukt Matratze in ein Unikat verwandelte. Das sieht einfach aus, ist es aber nicht. Der Guss setzt Form und Gegenform zueinander in Beziehung, verkehrt Positiv in Negativ, übersetzt Hohlraum in Volumen, transformiert weichen, flexiblen Schaumstoff in hartes, unnachgiebiges Metall. Zudem setzt Thomas Rentmeister eine Zeitverschiebung dadurch in Gang, dass er seiner Skulptur erlaubt, sich innerhalb weniger Tage eine rostrote Hülle zuzulegen. So entsteht der Eindruck, das, was er soeben produziert hat, sei bereits von Patina überzogen und somit ein historisch Gewordenes.

Verdopplung und Umkehrung sind Verfahren, die Thomas Rentmeister einsetzt, um ... Ja, wozu? Muss es ein „um zu“ geben? Bedarf es eines Zwecks, einer Absicht, eines Ziels? Wie sähe unsere Welt aus, wenn wir aufhörten, in Finalsätzen zu sprechen? Wenn wir, mit Hans Vaihinger, einer Philosophie des „Als ob“ in unserem Denken den Vorrang geben würden? Werte, Ideale, Ziele, Gott, Moral und das Vaterland, alles, was den Menschen vor dem Ersten Weltkrieg lieb und teuer war, bezeichnete Hans Vaihinger in seiner Philosophie des Als-ob 1911 als Fiktionen. „Dinge, welche Eigenschaften haben, Ursachen, welche wirken, sind Mythen“, formulierte Vaihinger es pointiert. Fiktionen seien Gedankengebilde, denen in der Welt nichts entspreche, ausgedachte, in sich widersprüchliche Gebilde von bloß praktischem Wert. Vaihinger wollte nicht etwa im Sinne der Aufklärung von den Fiktionen befreien, sondern lehren, sich mit ihnen einzurichten. Denn Fiktionen seien, so Vaihinger, die Werkzeuge, die das Denken erst ermöglichen.

So legt auch Thomas Rentmeister in der Ausstellung eine Fährte aus, die über das „what you see is what you see“ weit hinaus geht und der wir als Besucher und Besucherinnen nur allzu gerne folgen, auch wenn sich bald zeigen könnte, dass wir damit bereits einer Fiktion aufgesessen sind. Eine Interieur-Fotografie erlaubt Einblick in ein Innenleben in der kleinsten Hütte. Da steht ein Hochbett, darum herum sammeln sich Utensilien des alltäglichen Lebens, Kleidungsstücke, Geschirr, Getränke, Schuhe. Hier, so die Fiktion, die die gerahmte Schwarzweiß-Fotografie nahelegt, hat die Installation im Kunstverein Wolfenbüttel also ihren Ausgang genommen.

In einer beschaulichen Hütte im norwegischen Hommeland, nicht allzu weit von Stavanger entfernt. Die Stahlgestelle, die uns im Kunstverein umgeben, die Matratzen aus Eisen wären dann bloße Referenzen. Sie verwiesen auf einen Ort, an dem wir nicht sind, auf ein Ereignis, an dem wir nicht teilhatten, auf eine Situation, in die wir nicht kommen werden. Klar getrennt sind drinnen und draußen. Wollen wir uns darauf verlassen?

Das Behauste und das Unbehauste ist seit jeher ein Thema, das Thomas Rentmeister beschäftigt, und auch schon beschäftigt hat, als die Flüchtlingsthematik noch nicht zum Fokus der zeitgenössischen Kunst geworden war. „Hostal“, „Nahrung“, „A Product of Rest and Unrest“, „Normaltag“, „Leben auf dem Lande“ und „Zwischenlandung“, so lauten die sprechenden Titel seiner Einzelausstellungen. Die Fremdheit, die ins Leben Einzug hält, ist nicht an tagespolitische Ereignisse gebunden. Im Katalog „Hostal“ schreibt Kuratorin Annett Reckert: „Beklemmend wirkt das hochbettartige Gebilde, das Hostal sein eigentliches Gesicht gibt: Etage für Etage liegen fünf blütenreine, handelsübliche Matratzen mit gestepptem Rautenmuster und schlaff herab hängenden Trageschlaufen auf fünf stählernen Platten. Allein der Abstand zwischen den Etagen ist viel zu gering, als dass man sich tatsächlich einen auch noch so zierlichen Menschen darin vorstellen könnte. Eine Irritation, die bleibt. Schließlich kann kaum jemand umhin, das Bett als Metapher für den menschlichen Körper zu lesen. Es ist ein existentieller Ort, der den Menschen schlafen, lieben und leiden lässt, in dem geboren und gestorben wird. (...) Die Rentmeistersche Wortschöpfung Hostal verbindet Assoziationen, die die Worte Hotel und Hostel einerseits, und der Begriff Hospital andererseits hervorrufen. Auch die unheimliche Nähe von Gastfreundschaft und Feindseligkeit schwingt mit (engl. host, hostile).“

Wenn Gastfreundschaft ein Gebot der Menschlichkeit wäre, dann ließe sich „Hommeland“ ebenfalls auf diese Weise interpretieren. Französisch gelesen, wäre Homme dann nicht als „Mann“ – im Sinne des heroischen Künstlers – zu übersetzen, sondern als Homme, als Mensch, im Sinne von Menschheit. Und wird der Mensch nicht erst zum Menschen, wenn er haust und anderen Behausungen bereit stellt? Wenn er sich als Teil der Geschichte und des Geworden-Seins zu begreifen imstande ist? Und wenn er sich, wie wir es in „Hommeland“ sehen, selbst und seine Geschichte nicht ganz so ernst nimmt, sondern sie einzubinden vermag in einen Prozess der Verdopplung und Umkehrung, der Verschiebung und der Transformation. Wenn er gelernt hat, sich im „Als-ob“ einzurichten, weil Fiktionen Werkzeuge sind, die das Denken erst ermöglichen.

Willkommen im „Hommeland“! Aber Vorsicht. Vielleicht ist hier alles, wie in Lewis Carolls „Wunderland“, genau anders herum.

© Annette Tietenberg

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